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#Wo der Bombenblitz einschlägt

Wo der Bombenblitz einschlägt

Politiker würden diese Frage kaum stellen, Künstler schon. „Warum ist es wichtig – heute – Bilder zerstörter Menschenkörper zu zeigen und anzuschauen?“ Man denkt an Syrien, Mali oder Afghanistan. Ist es wichtig, solche Bilder aus den Kriegsgebieten zu Gesicht zu bekommen, um sich die Ausmaße des Leidens ausmalen zu können?

Die Frage, die Thomas Hirschhorn 2012 aufgeworfen hat, mutet makaber an, aber Künstler haben sie seit Jahrhunderten eindringlich beantwortet: in Bildern, in denen sie sich an jener Zerstörung abgearbeitet und gesteigert haben. Hirschhorn bezieht sich indes auf Fotografien aus dem Kriegsalltag, die ohne ästhetischen An­spruch produziert, geteilt, verbreitet werden – Aufnahmen, von denen wir lieber verschont bleiben und die, so der schweizerische Künstler, in „Tageszeitungen und Fernsehnachrichten“ auch nicht auftauchen. Nach seiner Meinung wird Krieg „akzeptabel und ermessbar“, wenn man sich die „Redundanz der Gewalt“ und ihrer Bilder nicht vor Augen führe, was er selbst in einer Reihe von verstörenden Bild-Installationen demon­striert hat und darin polemisch Zusammenhänge von Krieg, Kapitalismus und Konsumkultur behauptet.

Aus der Serie Mountains / Berge. Farbfotografien, je 150 x 180 cm.


Aus der Serie Mountains / Berge. Farbfotografien, je 150 x 180 cm.
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Bild: Cristina Lucas

Nüchterner, aber nicht weniger wirksam geht die Spanierin Cristina Lucas in einem monumentalen Drei-Kanal-Video vor, das jetzt im Zentrum ihrer Einzelausstellung in den Kunstsammlungen Chemnitz steht: „Unending Lightning“. Einem biennale-bewanderten Publikum war die 1973 geborene, in Madrid lebende Künstlerin 2018 bei der Manifesta in Palermo aufgefallen, einige Jahre zuvor hatte ihr der Kunstverein Braunschweig eine erste monographische Schau in Deutschland ge­widmet. In dem „Unendlichen Blitzeinschlag“ dokumentiert Lucas die Ge­schichte der Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung seit der Erfindung des motorisierten Fliegens und der ersten Überquerung des Ärmelkanals. Zu einem Angriff mit Flugzeug war es erstmals 1911 im Krieg zwischen dem Königreich Italien und dem Osmanischen Reich gekommen, als die italienische Luftwaffe, zwecks Vergeltung, eine Zwei-Kilogramm-Bombe bei Tripolis abwarf.

Auf drei riesigen Screens, die als Triptychon vor einer Couch aufgestellt sind, entfaltet sich die Chronologie der Bombardierung von Zivilisten, die in den vergangenen rund hundert Jahren überall auf der Welt, so zeigen es jeweils die Fotos auf der rechten Tafel, soeben umgekommen sind. Zur Linken sind Daten und Fakten in akribischer Vollständigkeit aufgelistet wie Ort, Anlass und Urheber der Angriffe, dazu das Datum und die Zahl der Opfer; auf der zentralen Tafel füllt sich eine Weltkarte mit schwarzen Punkten von Bombeneinschlägen, die jeweils durch einen kurzen Blitz signalisiert werden – es entsteht ein fortlaufender und sich verdüsternder Atlas. In einer Serie aus Stickereien macht Lucas daraus auch textile Bilder, deren sanft schimmernde Erscheinung ihrem Anlass widerspricht.

Wirft den ersten Stein? Touch and Go, Anfassen und loslegen, 2010. Videostill von Cristina Lucas.


Wirft den ersten Stein? Touch and Go, Anfassen und loslegen, 2010. Videostill von Cristina Lucas.
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Bild: Cristina Lucas

Für ihre Historie der Opfer durch Attacken aus der Luft bedient sich die Künstlerin in ihrer 2015 begonnenen Multimedia-Arbeit bei Datenbanken von Rechercheverbänden, bis heute ist „Unending Lightning“ auf eine Dauer von sechs Stunden angewachsen. Bilder von Verstümmelungen mutet Lucas dem Publikum hier und da zu, setzt sie aber sparsam ein. Man wird in den Sog der Ereignisse gezogen, ohne den Blick abzuwenden, lässt jene Redundanz von Bild und Gewalt auf sich wirken – sieht ein kata­strophisches Jahrhundert, erzählt und ge­zählt anhand von anonymen Kriegsopfern. Gerade die akribische Zählung lässt diese Geschichte als maßlos erscheinen. Eine sarkastische Pointe fügt Lucas ihrem Mahnmal „Unending Lightning“ durch eine bescheiden auftretende Arbeit im selben Saal hinzu: Auf einem Monitor sehen wir eine einmotorige Piper über eine Stadt fliegen, der unschuldige Flieger zieht ein Banner hinter sich her mit der Gleichung „L= (1/2) d v2 s CL“ – sie steht für den physikalischen Auftrieb.

Die „Maschine im Stillstand“ im Titel von Lucas’ Chemnitzer Ausstellung verdankt sich dem havarierten Containerschiff „Ever Given“, das im März tagelang den Suezkanal blockierte und so den Welthandel ins Stocken brachte. In weiteren Werken der Schau ergeben sich Bezüge zur Stadt Chemnitz, die ihrerseits noch im März 1945 bombardiert wurde – und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs einen Strukturwandel erlebte, den Lucas in einer Videoarbeit am Fall der Indu­striestadt Liverpool ironisch beleuchtet. Mehrere kluge, poetische Arbeiten gelten dem „Kapital“ von Karl Marx und der Wertsteigerung dieses Buches im Auktionshandel; den Essenzen, aus denen der menschliche Körper besteht und wie diese zu Farben für malerische Abstraktion taugen, oder einem filmischen Poem über den Klimawandel am Nordpol. Ihr Opus magnum über die sogenannten Kollateralschäden der modernen Kriegsführung wird Lucas bis auf Weiteres kaum toppen.

Cristina Lucas – Maschine im Stillstand. In den Kunstsammlungen Chemnitz; bis 31. Oktober. Der Katalog (DCV Verlag) kostet 34 Euro.

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