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#Zum Achtzigsten der Astronomin Jocelyn Bell Burnell

Viele Jahre nach ihrem Jahrhundertfund hat die alte weise Frau versucht, Blaise Pascals Sorge über das Schweigen des Unendlichen gegen deren Antithese beim Dichter Robert Frost abzuwägen, der einmal schrieb, kosmische Leere sei gar nicht so beeindruckend, vergleiche man sie mit den Leerstellen einer allein gelassenen Seele. Die alte weise Astronomin, die beiden Überlegungen gleichermaßen Gewicht zumisst, ist in Irland aufgewachsen, in einem Bauernhaus namens „Solitude“, Einsamkeit.

In Wirklichkeit war das ein wild belebter Ort: Geschwister und Tiere sorgten für eine abwechslungsreiche Sozialisation, und so war Jocelyn Bell vorbereitet auf gesellschaftliche Kämpfe, als sie sich zusammen mit anderen Mädchen in der Schule das Recht auf Physikstunden erstreiten musste, von denen man dachte, so etwas sei nichts für Mädchen. Ihr Vater zeigte ihr ein Planetarium, das er als Ar­chi­tekt errichtet hatte, aber man braucht gar nicht zwingend ein Fernrohr, um sich im All zurechtzufinden.

Bei der Durchsicht von meterdicken Papieraufzeichnungen interstellarer Radiosignale stieß Jocelyn Bell als Studentin 1967 auf Zeichen, die sie „a bit of scruff“ fand. Es schien da Signale von unfassbar exakter Regelmäßigkeit zu geben. Dahinter steckte nicht das Treiben kleiner grüner Männchen, sondern die Wahrheit der Einsteinschen Lehre von der Verformbarkeit der Raumzeit durch Masse.

Sie entdeckte „Pulsare“

Wenn Sterne unter ihrer Eigenlast zu rotierenden Neutronenklumpen zusammenstürzen, wickeln sie die Raumzeit um sich und senden Licht, Röntgenstrahlen und eben Radiowellen aus, als Uhren des Universums, die zum Beispiel die Ent­deckung extrasolarer Planeten oder, besonders spektakulär, in diesem Jahr die Verbesserung unseres an Gravitationswellen orientierten Bildes intergalaktischer Vorgänge erlauben.

Der Name, den man den Dingern verlieh, lautet „pulsating source of radio emission“, pulsierende Radioquelle oder kurz „Pulsar“, was sich kabbalistisch (etwa wie „Sohar“) anhört, aber die handfeste Folge hatte, dass die Identifikation des Phänomens 1974 mit dem ersten Physiknobelpreis für eine astronomische Lei­stung belohnt wurde. Den bekam jedoch nicht die dafür verantwortliche Frau, die inzwischen Jocelyn Bell Burnell hieß, sondern ihr Doktorvater Antony Hewish (gemeinsam mit dem für Radiotechnisches prämierten Kollegen Martin Ryle).

Kein Geringerer als Fred Hoyle, einer der größten und originellsten Astro­nomen aller Zeiten, zeigte sich sehr unzufrieden damit, dass das Preiskomitee die Pulsarentdeckerin übergangen hatte, und verglich den Wert ihrer Arbeit mit dem der Entdeckung der Radioaktivität durch Henri Becquerel. Bell Burnell selbst sah die Sache entspannt, zog aber aus ihren Erfahrungen die Konsequenz, Frauen zu fördern, wo immer ihr das möglich war, auch mit weitergegebenen hohen Preissummen.

Was sich Wissenschaft nicht leisten kann

Oft wird ja heute darüber geredet, was Marginalisierte vom Zugang zu Forschung und Technik haben; umgekehrt verdient aber auch Beachtung, dass in jedem demographischen Segment die Zahl derer stets klein ist, die sich nicht nur für diejenigen Teile der Wirklichkeit interessieren, die man essen, bewohnen, knuddeln oder zu Geld machen kann, sondern für die Wirklichkeit als solche. Wissenschaft kann sich nicht leisten, auf auch nur eine einzige derartige Person zu verzichten.

Vor zehn Jahren hat Jocelyn Bell Burnell in diesem Sinne ein großes Zeugnis ihrer geistigen Red- und Reinlichkeit gegeben, als sie in einem Vortrag über die Vereinbarkeit von Wissen und Glauben das Herz des Problems nicht da sah, wo es oft gesucht wird, nämlich beim Abgleich bronzezeitlicher Mythenmuster, auf de­nen bedeutende Erlösungsreligionen errichtet sind, mit den Einsichten der Forschung.

In Wahrheit geht’s bei der Sache um Normatives: Soll man nur nach dem handeln, was man sicher selbst weiß, oder muss man in einer hocharbeitsteiligen, vom Mosaik unzähliger Expertisen, die keiner alleine meistert, zusammen­gehaltenen Gesellschaft nicht auch manchmal glauben, was man nur gehört und gelesen hat (Corona! Klima!)?

Die Balance von Glauben und Wissen handelt nach Bell Burnell weniger von Begriffen wie „Gott“ oder „Engel“ und eher davon, was etwa „Hoffnung“ bedeutet: Wenn ich mich verhalte, als wäre eine Krise zu bewältigen, wird mich niemand auslachen können, falls stattdessen doch bald alle tot sind. Aber falls alles gut ausgeht, sollte ich vorher der Lösung nicht mit finsterem, vermeintlich aufgeklärtem Fundamentalpessimismus im Weg herumstehen. Lieber aufs Gute hinarbeiten, egal, wie kalt und leer der Raum ist, in dem ich das versuche. An diesem Samstag wird Jocelyn Bell Burnell, die so denkt und lebt, achtzig Jahre alt.

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