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#Zwischen allen Stühlen und Felswänden

Zwischen allen Stühlen und Felswänden

Er war der Indiana Jones der Felsbildforschung und damit der Urgeschichte der Kunst. Die Rede ist vom Berliner Ethnologen Leo Frobenius (1873 bis 1938). In zahllosen abenteuerlich finanzierten Expeditionen von 1913 bis in die dreißiger Jahre wurden nahezu alle bedeutenden und damals bekannten Felsbilder auf vier Kontinenten von dafür trainierten Künstlerinnen abgemalt. Gezeichnet statt fotografiert deshalb, weil nur dieses Medium wissenschaftliche Durchdringung sichert – wer ein mehrere Meter großes Steinzeit-Wimmelbild mit hunderten Figuren abzeichnet, muss wissen, wo der Fuß der einen unter der Überschneidung einer andersfarbigen Figur weiterläuft. Auf „unwissend“ geschossenen Höhlenfotos dieser Zeit hätte man das Gewirr im Nachhinein nicht entschlüsseln können, zumal die nur in den Abmalungen mögliche Farbe – Farbfotografie im großen Stil gab es für die Expeditionen noch nicht – einen wesentlichen Anteil an der Lebendigkeit und am Relief der Felsbilder hat.

Stefan Trinks

Frobenius ist, wie die Zürcher Schau „Kunst der Vorzeit – Felsbilder der Frobenius-Expeditionen“ erweist, ein noch immer unterschätzter Geburtshelfer der modernen Kunst, denn von Beginn an zeigen die steinzeitlichen Bilder aufs Äußerste reduzierte, mithin abstrahierte Menschen (nie allein, stets in Gemeinschaft), immer Tiere, oft Hybride aus beidem (was bei den in Tierfelle und Häute gekleideten Urmenschen nicht verwundert), alles in Bewegung, selten Pflanzen (wir sind zeitlich vor den Agrargesellschaften), dafür stark stilisierte Naturformen wie Schnecken, Röhren oder Spiralen, die Frobenius „Formlinge“ taufte. Die Größenskalen sind ebenfalls eher abstrakte Bedeutungsmaßstäbe. So ist die Schlange in dem sechstausend Jahre alten afrikanischen Felsbild größer als der Elefant daneben.

Mit seinen 283 mal 678,5 Zentimetern ist das über längere Zeiträume immer wieder erweiterte Steppenpanorama „Große Elefanten, weitere Tiere sowie Menschen“ aus Mutoko in Simbabwe das größte Exponat der Zürcher Schau.


Mit seinen 283 mal 678,5 Zentimetern ist das über längere Zeiträume immer wieder erweiterte Steppenpanorama „Große Elefanten, weitere Tiere sowie Menschen“ aus Mutoko in Simbabwe das größte Exponat der Zürcher Schau.
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Bild: Frobenius-Institut / Museum Rietberg Zürich

Das Fesselndste ist der ausgeprägt erzählerische Zug: Immer wird ein Erlebnis für die Nachwelt geschildert (für sich selbst brauchten es die Maler nicht zu fixieren) und zwar so, dass es auch postum noch verständlich ist. Das 1929 abgezeichnete Panorama „Große Elefanten, weitere Tiere sowie Menschen“ aus Simbabwe etwa schildert auf fast sieben mal drei Metern Begegnungen von Dutzenden von Menschen und Tieren; es wurde in mehreren Schichten wohl über Jahrhunderte erweitert und kann so pars pro toto und parakontinental für alle Bilder der Schau stehen. Wie in der berühmten Lebens-Kunst-Metapher von Jorge Luis Borges, in der alle lebenslang gesammelten Bilder am Ende leviathanisch ein Porträt unseres Selbst ergeben, arbeiteten schon die Steinzeitmaler an dem einen, großen Pasticcio-Bild des Menschen in Interaktion mit der Welt.

Steinzeitmalerei als Quelle für den Klimawandel: Neben den akrobatischen „Drei menschlichen Figuren“ aus dem ägyptischen Gilf el-Kebir gibt es dort noch die „Schwimmer in der Wüste“.


Steinzeitmalerei als Quelle für den Klimawandel: Neben den akrobatischen „Drei menschlichen Figuren“ aus dem ägyptischen Gilf el-Kebir gibt es dort noch die „Schwimmer in der Wüste“.
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Bild: Frobenius-Institut / Museum Rietberg Zürich

Und so schief, wie er klingt, ist der Vergleich mit Indiana Jones nicht – heute ist das 1925 an die Frankfurter Universität abgewanderte und später nach Frobenius benannte Afrika-Archiv und nachmalige „Institut für Kulturmorphologie“ weltweit angesehen. Zu Lebzeiten aber war der Autodidakt nicht unumstritten und als charakterlich nicht einfacher Mensch (auf der einen Seite der Visitenkarte stand lediglich sein Name und darunter „Präsident und Chef“) mit vielen offiziellen Koryphäen heillos zerstritten. Immer klamm, aber spätestens seit seiner engeren Befreundung mit Kaiser Wilhelm II. von diesem protegiert, engagierte sich auch die Industrie (wie etwa der Frankfurter Seifenproduzent Mouson) wiederholt in dessen Expeditionen. Und tatsächlich konnte er selbst nach 1933 noch von den amerikanischen Ford-Werken zehn Fahrzeuge für Afrika loseisen. Auch war er ein Treuhänder der afrikanischen und australischen Märchen, die er zu Hunderten sammelte, veröffentlichte und dadurch bewahrte, denn vielfach existieren die Kulturen – und zwar nicht nur aufgrund kolonialer Einflüsse oder gar Dezimierung – heute nicht mehr. Die Fraktion der Dekolonialisierer wird auch in dieser Sammlung von Oralem Raubkunst für weiße Menschen sehen, und das nicht auf Augenhöhe erfolgte Erwerben der Objekte als imperialistisches Verbrechen brandmarken. Wichtig aber ist, dass die mittlerweile in einem ethnologischen Museum wie Zürich und dem Institut in Frankfurt digitalisierten Urbilder weltweit zugänglich sind und vor allem aus Afrika begeistert angefragt werden.

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