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#106 Sekunden bis Berlin

„106 Sekunden bis Berlin“

Am Mittag hat der russische Präsident Wladimir Putin eine Parade abgenommen und eine Rede gehalten – und naturgemäß ging es bei „Hart aber fair“ dann um die ebenso schwierigen wie naheliegenden Fragen, was er gesagt und was er nicht gesagt habe. Und darum, was er wem und warum damit habe mitteilen wollen. Es ging also, anfangs jedenfalls, darum, warum Putin nicht den Krieg erklärt, nicht eine allgemeine Mobilmachung ausgerufen habe, warum er das, worüber man doch in den Medien so ausführlich spekuliert hatte, dann doch nicht getan habe. Und warum er, andererseits, aber auch keine Zeichen der Deeskalation ausgesandt habe. Und dann fiel auch noch die Flugzeugschau aus – wo man doch zu gerne auch die Zeichen am Himmel gedeutet hätte.

Die Frage nach den Flugzeugen (hat er keine mehr? Oder kein Geld mehr für den ganzen Aufwand?) beantwortete Sabine Dornblüth, die Russland-Expertin des Deutschlandfunks, ganz kühl damit, dass in der Nähe von Moskau tatsächlich ein starker Wind geblasen hätte. Für die Antworten auf all die anderen Fragen, hätte man in Putins Kopf schauen müssen, was, wenn man es versucht, nur Spekulationen mit viel Konjunktiv und Potentialis provoziert. Roderich Kiesewetter, der Außenpolitiker von der CDU, spekulierte zum Beispiel darüber, dass Putin, zur Feier des Jahrestags des Siegs der Sowjetunion übers nationalsozialistische Deutschland, doch einfach den Status quo zum Sieg hätte erklären können. Was sich aberwitzig anhören mag – aber auch nicht verrückter wäre als all der Irrsinn über Nazis und die NATO, den das russische Volk ja Putins Propaganda anscheinend glaubt.

Wie liest man Putins Gesicht

Besser lesbar als das Innere von Putins Kopf ist dessen Äußeres, das Gesicht – darauf wies Michael Roth hin, der Außenpolitiker der SPD, der, nachdem Wolfgang Merkel, der Politikwissenschaftler und Mitunterzeichner von Alice Schwarzers offenem Brief, wieder einmal den gesichtswahrenden Kompromiss für Putin gefordert hatte, darauf hinwies, dass Putin zwar ein Gesicht habe. Dass er dieses Gesicht aber gar nicht verlieren könne, weil seine Macht so unbeschränkt und seine Definitionshoheit so groß sei in Russland, dass sich dort niemand die Frage nach dem Gesicht auch nur zu stellen trauen werde.

Vor der Sendung hatte das Erste einen „Brennpunkt“ gebracht, der schon dieselben Fragen bearbeitet hatte – und spätestens in dem Moment, da Marie-Agnes Strack-Zimmermann dort mehr Wehrbereitschaft forderte, war man als Zuschauer bereit, sich den eigenen Überdruss einzugestehen. Nicht weil Frau Strack-Zimmermann etwas Falsches gesagt hätte. Sondern weil sie genau so gut in der Sendung von Frank Plasberg hätte sitzen können. Und Michael Roth an ihrer Stelle. Und weil man, als pflichtbewusster Zuschauer, die meisten möglichen Aussagen der beiden schon kennt.

Es muss aber sein, immer wieder, das machte in „Hart aber fair“ Wolfgang Merkel deutlich, der mit großer Hartnäckigkeit noch einmal all das anzweifelte, worüber die anderen sich einig waren: Dass bessere Waffen für bessere Verhandlungspositionen sorgen werden. Dass schon alles versucht worden sei, einen Kompromiss zu erreichen. Dass der Widerstandswille der Ukrainer wirklich stärker sei als deren Angst vor dem Tod. Womit er Roth und Kiesewetter, vor allem aber Sabine Dornblüth und der Militärexpertin Claudia Major eine wunderbare Gelegenheit gab, noch einmal auszubuchstabieren, dass die Ukraine ein Kompromissangebot gemacht habe. Und als Antwort die Massaker in der Umgebung von Kiew bekam. Dass es für die Ukraine nicht um die Wahl zwischen Krieg und einem Waffenstillstand gehe. Sondern um die zwischen dem Krieg und der Vernichtung, der Auslöschung des Staats und der Kultur. Merkel, das zeigen alle Umfragen, spricht und zweifelt aber für einen ernst zu nehmenden Teil der Deutschen.

Trotzdem, das hat man alles schon gelesen, gehört, vielleicht sogar überdacht – aber wahrscheinlich muss das Fernsehen diese Streits, diese ganzen Wiederholungen und Redundanzen immer wieder bringen: weil das Volk sich andernfalls womöglich doch an diesen monströsen und verbrecherischen Krieg gewöhnen und Verdruss allenfalls deshalb spüren könnte, weil die Preise steigen. Wobei man die Sorge des Professors Merkel über die Enttäuschung, ja die Verzweiflung Putins und seiner Leute wohl nur mit den allerdrastischsten Schilderungen der Verbrechen dieser Leute lindern kann. Eine Generalität ist eben keine Therapiegruppe.

Die Abschreckung wirkt

Es war schon Sensationslust im Spiel, als Frank Plasberg das notorische Video zeigte, in dem russische Fernsehleute davon schwärmen, dass russische Atomraketen nur 106 Sekunden von Kaliningrad bis nach Berlin brauchen. Und umso cooler war es, wie Frau Major dieser Drohung den Schrecken nahm. Die Abschreckung funktioniere, erläuterte sie, was man schon daran merke, dass selbst jetzt, im Krieg, die Russen die Amerikaner informierten, bevor sie eine Rakete testeten. Und sie funktioniere in beide Richtungen – weder hätten die Russen das Territorium der NATO verletzt, noch habe die NATO wirklich eingegriffen in den Krieg. Weil Atommächte gegeneinander eben keinen Krieg führen könnten. Die Absicht der Drohung sei es, nicht die Zerstörung Berlins wirklich in Erwägung zu ziehen. Die Absicht sei es, Angst zu verbreiten, was ja auch wirke, wie man das nicht nur am Beispiel Wolfgang Merkels studieren könne.

Das war klar, kompetent, präzise. Und es klingt zugleich angenehm zivil, wenn Major einen Nachnamen und keinen militärischen Rang bezeichnet.

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