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#Ist das schon Sozialismus?

Ist das schon Sozialismus?

Es war alles in allem eine sehr typische Berliner Nacht, es war noch warm, die Berliner saßen dicht gedrängt vor den Bars und schauten auf die verschiedensten Formen von Barrikaden, die man vor ihrer Nase errichtet hatte, Absperrungen für den Marathon, Baustellen, Sicherheitsschleusen für die Wahlpartys – es war schwieriger als vor der Maueröffnung, von Westen zur Wilhelmstraße durchzudringen. Dort warteten die Menschen vor dem Willy-Brandt-Haus, dem Sitz der SPD, die ihre Zentrale von unten rot angestrahlt hatte, so dass sie ein wenig wie ein moldauisches Casino aussah und jeder, der in diese Lichtdusche trat, wie ein Teufel. Drinnen, vor einer Vitrine mit SPD-Stoffbären, stand der italienische Arbeitsminister Andrea Orlando und schaute sich die Auslage an. Es war 19 Uhr, auf den Bildschirmen, die die Nachrichten übertrugen, sprach Söder, dessen Gesicht sich in der Vitrine so spiegelte, dass sich ein neues, unwahrscheinliches Mischwesen aus CSU-Chef und SPD-Bär ergab.

Bei der SPD geht es wie in Hogwarts zu

Orlando war gekommen, um seinen Kollegen Hubertus Heil zu sehen, und wurde durch endlose Korridore („das ist hier wie in Hogwarts“) in einen Raum geführt, wo man „den Hubi“ aber nicht finden konnte. Orlando wartete schweigsam dort und schaute über ein Schlachtfeld aus Chipskrümeln und Berliner-Kindl-Flaschen auf die Hochhäuser gegenüber; dies war auch der Tag, an dem Berlin darüber entschied, ob große Immobilienunternehmen enteignet werden sollten. Eine Frau betrat den Raum und fragte, ob denn eigentlich später noch getanzt würde, ein Mann sagte, jaja, im Hans-Jochen Vogel Saal. – Aber ist da überhaupt Musik? Da war man sich jetzt nicht sicher. Dafür wurde Hubi gefunden und posierte für ein Foto mit seinem italienischen Kollegen, der kurz danach in einem Restaurant unten an der Spree wieder auftauchte.

Bayrisch-Berliner Bär: In der SPD-Zentrale erschien Markus Söder auf den Bildschirmen und sorgte für merkwürdige Reflexionen.


Bayrisch-Berliner Bär: In der SPD-Zentrale erschien Markus Söder auf den Bildschirmen und sorgte für merkwürdige Reflexionen.
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Bild: Niklas Maak

An den Tischen dort wurde diskutiert, ob die grüne Spitze den Willen ihrer eher SPD-nahen Basis verraten würde, um im Tausch gegen Ministerposten und symbolische Trostpflaster wie Tempolimits eine schwarz-gelbe Regierung ins Amt zu heben, oder ob die FDP ihre sozialliberale Vergangenheit in grünerer Form aufleben lassen würde. Am Nebentisch feierten ein paar FDP-Bezirkspolitiker, lauter junge Herren, die aussahen, als hätten sie soeben beim Christian-Lindner-Lookalike-Contest die Plätze vier bis zehn belegt. Einer von ihnen erhob sich etwas unsicher und trudelte an den Tisch des italienischen Arbeitsministers. „Hallo ihr Süßen“, sagte er und griff zur Stabilisierung nach der Stuhllehne von Orlandos Begleitung. „Habt ihr auch alle F… FDP gewählt?“ Der Minister schaute interessiert von seinem Mobiltelefon auf. „Wir sind aus Italien“, sagte Orlandos Begleiterin. „Italien“, sagte der FDP-Mann und verdrehte die Augen so, als wolle er, sobald es grün wird, mit Vollgas über den Brenner flüchten. „Aber wenn ihr … also wenn ihr hier wählen würdet, was….“

Über eine Million Wähler sind für Enteignungen

Die Antwort ging in der Nachricht unter, dass der Volksentscheid erfolgreich war: 56,4 Prozent der Berliner hatten mit „ja“ gestimmt, mehr als eine Million Wähler. In einigen Bezirken lag die Zustimmung zur Enteignung aller Immobilienfirmen, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen, bei mehr als 75 Prozent. War das der Einstieg in einen neuen Sozialismus, der Investitionen und dringend notwendige Neubauten zum Erliegen bringen würde? Die Wahlergebnisse der Linken sprachen nicht dafür. Giffey, eine Enteignungsgegnerin, lag in den Umfragen zur Berlin-Wahl vorne, so dass man sich entschloss, den Volksentscheid als Denkzettel für eine Branche zu sehen, die ihre Immobilien zu lange als Assets ausgequetscht hatte.

Unterstützer der Initiative „Deutsche Wohnen und Co.enteignen“ jubeln bei der Ankunft zur Wahlparty.


Unterstützer der Initiative „Deutsche Wohnen und Co.enteignen“ jubeln bei der Ankunft zur Wahlparty.
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Bild: dpa

Vonovia-Mieter berichten von Nebenkosten, die plötzlich um bis zu 600 Prozent stiegen, während die Anleger sich über Rekordgewinne freuen konnten; die These, dass das Gewinnstreben Einzelner immer gut für alle ist, wurde hier recht dramatisch widerlegt. Vielleicht war der Volksentscheid eine notwendige Erinnerung daran, dass Wohnungen keine Assets sind, sondern Orte von Schicksalen, eine Lebensgrundlage wie Wasser, die mitentscheidet, ob ein Leben gelingt oder nicht. Irgendwann verließ der Minister das Lokal, die letzten Gäste liefen an den Betongerippen halb fertiger Neubauten vorbei zum Taxi. Seit 2016 sinkt die Zahl der Baugenehmigungen in Berlin, das, was gebaut wird, sieht oft so aus, dass man sich wünschte, es wäre nicht gebaut worden. Auch hier gilt, was auf einem FDP-Plakat stand: So wie es ist, kann es nicht bleiben.

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