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#Hat der Polexit begonnen?

Hat der Polexit begonnen?

Aus Sicht der polnischen Opposition gibt es keine Zweifel daran, dass am späten Donnerstagnachmittag in Warschau etwas ungeheuer Dramatisches geschehen ist: „Am 7. Oktober hat in Polen der Polexit begonnen“, schrieb Senatsmarschall Tomasz Grodzki auf Twitter kurz nachdem das Verfassungsgericht sein Urteil verkündet hatte, dass der EU-Vertrag in wesentlichen Punkten in Widerspruch zur polnischen Verfassung stehe. Andere liberale Politiker sahen Polen nach dem Richterspruch schon halb außerhalb der EU. Und Donald Tusk, ehemaliger polnischer Ministerpräsident, EU-Ratspräsident und jetzt Führer der größten Oppositionspartei, rief noch am Abend „alle, die das europäische Polen verteidigen wollen,“ dazu auf sich am Sonntagabend im Zentrum von Warschau zu versammeln: „Nur gemeinsam können wir sie aufhalten.“

Thomas Gutschker

Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.

Folgt man dagegen der Darstellung der nationalkonservativen polnischen Regierung, dann sind die Warnungen der Opposition vor einem Polexit, einem Austritt Polens aus der EU, nur ein „Fake“. „Der Platz Polens ist und bleibt in der europäischen Völkerfamilie“, schrieb auf Facebook Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, auf dessen Antrag hin das Verfassungsgericht geurteilt hatte. Aber Polen sei in der EU kein „ungebetener Gast“, sondern habe die gleichen Rechte wie alle anderen Mitgliedstaaten und werde nicht hinnehmen, „dass man uns wie ein Land zweiter Klasse behandelt“. Die Verfassungsrichter hätten nur festgestellt, „was buchstäblich aus dem Inhalt der Verfassung Polens hervorgeht“, schrieb Morawiecki, und das auch noch im Einklang mit den Urteilen der Verfassungsgerichte anderer Mitgliedstaaten aus den vergangenen Jahren.

Morawiecki hatte sich auf EZB-Urteil berufen

In der Begründung seines Prüfungsantrags an das Verfassungsgericht hatte sich Morawiecki ausführlich auf das umstrittene EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts berufen. Es hielt dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) und der EZB eine Kompetenzüberschreitung vor, weil ein Anleihekaufprogramm nicht ausreichend begründet und geprüft worden sei – dabei ging es ausdrücklich um einen seltenen Ausnahmefall. Im gleichen Urteil bestätigten die Karlsruher Richter zudem den grundsätzlichen Anwendungsvorrang von EU-Recht vor nationalem Recht.

Die polnischen Verfassungsrichter – die alle von der Regierungspartei PiS bestimmt worden sind und teilweise als Parlamentsabgeordnete die zwischen der EU und Warschau umstrittenen Veränderungen in der polnischen Justiz maßgeblich gestaltet haben – stellen dagegen wesentliche Bestimmungen des EU-Vertrags grundsätzlich in Frage: Artikel 1, in dem von einer „immer engeren Union der Völker Europas“ die Rede ist; Artikel 4, in dem es heißt, die Mitgliedstaaten achteten den „Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit“ und unterstützten einander und die Union bei der Erfüllung ihrer vertraglichen Aufgaben; und Artikel 19, in dem die Mitgliedstaaten sich verpflichten, einen wirksamen Rechtsschutz in allen Bereichen zu garantieren, die von EU-Recht erfasst sind.

All diese Bestimmungen stünden im Widerspruch zur polnischen Verfassung, wenn die europäische Einigung eine „neue Etappe“ erreiche, in der die EU-Organe außerhalb ihrer vertraglichen Kompetenzen handelten und die Verfassung nicht mehr das höchste Recht der Republik Polen sei, heißt es in dem Urteil – darauf, unter welchen Umständen diese Bedingungen erfüllt sind, gehen die Verfassungsrichter nicht ein. Das eröffnet der polnischen Regierung die Möglichkeit, unter Berufung auf das Verfassungsgericht europäische Rechtssprechung immer dann nicht anzuwenden, wenn diese ihr nicht passt – auch in Fällen, die mit dem Anlass dieses Verfahrens, der Rechtssprechung des EuGH zur Justizreform der PiS, nichts zu tun haben.

„Entfernung aus der Rechtsordnung“

Der EuGH hat in mehreren Verfahren festgestellt, dass Polen gegen rechtsstaatliche Grundsätze, insbesondere gegen die Unabhängigkeit von Richtern verstoße. Das polnische Verfassungsgericht spricht dem EuGH nun grundsätzlich das Recht ab, sich mit der polnischen Justiz zu befassen und verbietet es zudem polnischen Gerichten, die Rechtmäßigkeit der Berufung von Richtern an polnischen Gerichten zu prüfen. In der mündlichen Urteilsbegründung droht der berichterstattende Richter dem EuGH gar mit Folgen, falls er sich weiter mit der polnischen Justiz befasst: Man schließe nicht aus, dann direkt die Verfassungsmäßigkeit von EuGH-Urteilen zu prüfen, „einschließlich ihrer Entfernung aus der Rechtsordnung“.

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