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#„Allein das Wahlalter abzusenken, wäre naiv“

„Allein das Wahlalter abzusenken, wäre naiv“

Frau Kritzinger, nach der SPD, der Linkspartei und den Grünen fordert in Deutschland erstmals auch die FDP ein Wahlrecht ab 16 Jahren auf allen politischen Ebenen. Österreich hat es schon im Jahr 2007 eingeführt, als erstes Land in der EU. Erinnern Sie sich noch daran, wie die Absenkung des Wahlalters damals kommentiert wurde?

So ein Thema wird immer kontrovers diskutiert, das war in Österreich nicht anders, mit SPÖ und Grünen, die für eine Absenkung des Wahlalters waren, und ÖVP, FPÖ sowie dem BZÖ, die hier kritische Stimmen erhoben. Manche Leute fanden es problematisch, 16 und 17 Jahre alten Bürgerinnen und Bürgern ein Stimmrecht zu geben. Sie fragten sich, ob die Jugendlichen überhaupt schon reif genug sind. Dabei konnten die Sechzehn- und Siebzehnjährigen in einzelnen Bundesländern bereits davor wählen. Im Jahr 2007 kamen dann die Nationalratswahlen beziehungsweise Wahlen auf allen Ebenen hinzu.

Wie kam es überhaupt dazu?

Das ging mit einer allgemeinen Wahlrechtsreform einher: Damals wurde nämlich auch die Legislaturperiode des Nationalrats von vier auf fünf Jahre verlängert und das passive Wahlrecht von 19 auf 18 Jahre gesenkt. Und so verständigte sich die damalige Koalition aus SPÖ und ÖVP auf beides, jeder wollte etwas und jeder bekam etwas. Es war also eine Konsensentscheidung, massive Kritik blieb dadurch aus. Heute stellt keine Partei mehr die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre in Frage.

Sylvia Kritzinger, Politikwissenschaftlerin und Professorin für Methoden am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen politisches Verhalten, Wahlforschung, demokratische Repräsentation, politische Teilnahme und quantitative Methoden.


Sylvia Kritzinger, Politikwissenschaftlerin und Professorin für Methoden am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen politisches Verhalten, Wahlforschung, demokratische Repräsentation, politische Teilnahme und quantitative Methoden.
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Bild: privat

Seit der Reform gab es einige Wahlen, die Sie auch beobachtet und untersucht haben. 14 Jahre nach der Reform: Wie fällt Ihr Fazit aus? Kann sich Deutschland an Österreich ein Beispiel nehmen?

Die bisherigen Wahlen haben jedenfalls gezeigt, dass sich die Befürchtungen nicht bestätigt haben. Bei der ersten Wahl haben wir bereits gesehen, das die Sechzehn- und Siebzehnjährigen durchaus an Politik interessiert sind und sie auch die Parteien gewählt haben, die sie am besten repräsentiert haben. Spannend war damals die Erkenntnis, dass sie von ihrem Wahlrecht mehr Gebrauch gemacht haben als diejenigen, die 18, 19 oder 20 Jahre alt waren. Die Wahlbeteiligung ist also nicht, wie befürchtet, zurückgegangen. Überspitzt formuliert hätte man sagen können: Man müsste darüber nachdenken, ob es gut ist, 18 bis 20 Jahre alte Bürgerinnen und Bürger zum ersten Mal wählen zu lassen. Denn bei ihnen war die Wahlbeteiligung am geringsten. Wir haben im Laufe der Zeit aber Veränderungen festgestellt.

Welche sind das?

Mittlerweile sieht man bei der Wahlbeteiligung keine signifikanten Unterschiede mehr zwischen jungen und älteren Erstwählerinnen und Erstwählern. Das könnte daran liegen, dass Letztere durch die Absenkung des Wahlalters schon eine Wahl hinter sich haben und deshalb nun kontinuierlich von ihrer Stimme Gebrauch machen.

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Das würde für die Absenkung des Wahlalters sprechen.

Und dann gab es in Österreich noch die Bundespräsidentschaftswahl im Jahr 2016.

Die Stichwahl musste wegen Unregelmäßigkeiten wiederholt werden.

Und da haben viele gemerkt, wie gewichtig die eigene Stimme sein kann. Als im Dezember 2016 abermals gewählt wurde, waren in der Zwischenzeit seit April 2016 etwa 36.000 Erstwähler und Erstwählerinnen als Wahlberechtigte hinzugekommen. Also in etwa so viele Stimmen, wie die Kandidaten Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer im ursprünglichen Wahlgang getrennt hatten. 

Nun ist die Wahlbeteiligung die eine Sache. Die entscheidende Frage ist aber: Sind die Jugendlichen reif und informiert genug? Aber auch da können Sie Entwarnung geben?

Genau. Wir sehen, dass die Jugendlichen sehr wohl informiert sind. Dass sie verstehen, welche Parteien ihre Interessen vertreten. Beim politischen Wissen gibt es jedoch kleinere Unterschiede. Politischer Zynismus ist bei den Jüngeren immerhin wesentlich seltener vorhanden als bei den Älteren. Sie glauben noch daran, etwas bewegen zu können. Bei der Klimapolitik etwa zeigt sich, dass die junge Generation gerne ein Mitspracherecht hätte. Denn es geht um ihre Zukunft. Man denke nur an die Fridays-for-Future-Bewegung. Wir sollten also vor den Sechzehn- und Siebzehnjährigen keine Angst haben. Die meisten von ihnen wohnen noch zuhause und besuchen eine Bildungseinrichtung und können mit ihren Eltern beziehungsweise in der Schule über Politik sprechen. 18 ist hingegen das schlechteste Alter, um in die Staatsbürgerrolle entlassen zu werden. Da spielt sich im Leben eines jungen Menschen so viel anderes ab; da rückt Politik bei vielen in den Hintergrund. Aber: Allein das Wahlalter abzusenken, wäre naiv.

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Wie meinen Sie das?

Es braucht Begleitmaßnahmen. Politikerinnen und Politiker müssen in die Schulen gehen und Lehrerinnen und Lehrer müssen den Schülerinnen und Schülern Informationen auf den Weg geben. Auch ein eigenes Unterrichtsfach wäre denkbar.

Was ist aber mit jenen, die schon früher von der Schule abgehen?

Ein wichtiger Punkt. Man muss darüber nachdenken, auch schon die Jüngeren politisch zu informieren und natürlich darf man nicht vergessen die Berufsschulen einzubeziehen.

Es gibt auch Forderungen, die noch weitergehen. Die Grüne Jugend plädiert in Deutschland sogar für ein Wahlrecht, bei dem bereits Kinder wählen könnten. Also: Keine Altersgrenze mehr.

Aus wissenschaftlicher Perspektive würde ich sagen: Man müsste sich das empirisch anschauen. Also, wie schaut es mit politischen Interessen und politischer Interessiertheit aus? Oder können Präferenzen artikuliert werden und dann in eine Stimme umgesetzt werden? Wenn die empirischen Ergebnisse zeigen, dass diese Punkte gegeben sind, dann könnte man eine weitere Wahlaltersenkung durchaus in Betracht ziehen. Es geht ja bei Wahlen um die zukünftige Gestaltung eines Landes. Die politischen Entscheidungen, die getroffen werden, haben Auswirkung auf die Zukunft der jungen Leute – also sollten sie auch mitentscheiden können, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. Begleitmaßnahmen darf man jedoch nicht vergessen.

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