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#Anschläge: Wenn Terroristen geläutert tun

Anschläge: Wenn Terroristen geläutert tun

Vor ihren Anschlägen saßen die Täter von Wien und Dresden beide im Gefängnis und machten in Deradikalisierungsprogrammen mit. Trotzdem schritten sie zur Tat. Kujtim F., der in Wien am Montag vier Menschen erschoss, habe das Programm perfekt getäuscht, sagte Österreichs Innenminister Karl Nehammer. Seine These schien zu lauten, andernfalls wäre Kujtim F. wesentlich später aus der Haft entlassen worden und hätte die Tat möglicherweise nicht begangen. Der mutmaßliche Attentäter von Dresden hatte das Deradikalisierungsprogramm noch nicht durchlaufen – hier begann die Arbeit gerade erst. Doch trotz der intensiven Begleitung bemerkte niemand etwas. Steht nun also die Wirksamkeit der Programme in Frage?

Alexander Haneke

Mit der wachsenden Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ist in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland ein immer weiter wachsendes Netz von Präventions- und Deradikalisierungsprogrammen entstanden. Einige der Organisationen hatten in den Jahren zuvor schon mit Tätern aus dem rechtsextremen Milieu gearbeitet. Die Fallzahlen waren aber gering im Vergleich zu dem, was mit dem Boom der dschihadistischen Szene in den kommenden Jahren folgte. Der Staat mobilisierte enorme Mittel. Der Bund verdreifachte seine Mittel für Prävention von 2015 bis 2018. Im föderalen Deutschland, in dem die Länder für die Gefahrenabwehr zuständig sind, entwickelte sich ein vielschichtiges System aus zivilgesellschaftlichen Trägern und staatlichen Programmen, die sich mit der Zeit in Kooperationsnetzwerken zusammenschlossen. Dass der Bund lieber private Anbieter finanziert, hatte nicht nur taktische Gründe. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte mal ein eigenes Programm. Das wurde aber rasch wieder eingestellt. Man sei wohl nicht der richtige Ansprechpartner gewesen, um eine Vertrauensbeziehung zu den Extremisten aufzubauen, heißt es beim Verfassungsschutz einsichtig.

„Wir können denen nicht in den Kopf schauen“

Anders war das bei einigen Bundesländern. Sie bauten staatliche Aussteigerprogramme unter der Ägide der Innenbehörden auf – etwa das Aussteigerprogramm für Islamisten in Nordrhein-Westfalen, das sich bereits mit über 190 Personen aus der islamistischen Szene „befasst“ hat und regelmäßig etwa fünfzig bis sechzig ausstiegswillige Islamisten begleitet. Der wohl größte und bekannteste Akteur unter den Privaten ist das Violence Prevention Network, das bis zum vergangenen Jahr nach eigenen Angaben auf insgesamt 914 Teilnehmer aus der islamistischen Szene kam. Das Netzwerk führt inzwischen in sieben Bundesländern die Deradikalisierung in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Innen- und Justizbehörden durch.

Wie erfolgreich diese Arbeit ist, lässt sich kaum beurteilen. Die meisten Programme werden ständig evaluiert, vor allem weil es sich bei vielen um Modellprojekte handelt und viel öffentliches Geld im Spiel ist. Doch langfristige Studien fehlen bisher, und auch bei den Institutionen, die mit der Evaluation betraut sind, gibt man zu, dass es schwer ist, allgemeingültige Bewertungskriterien zu finden. Am Ende hängt der Erfolg meist von den ganz persönlichen Voraussetzungen des änderungswilligen Extremisten ab, von seinem familiären Umfeld, seiner Fähigkeit, alte Einstellungen zu hinterfragen, und der Bereitschaft, sich eine neue Identität aufzubauen, die nicht mehr auf der alten Rolle in der Szene fußt.

Nach den Fällen von Wien und Dresden könnte der Ruf dieser Arbeit leiden. Der junge syrische Gefährder, der in Dresden Anfang Oktober wenige Tage nach seiner Haftentlassung auf ein schwules Paar einstach und einen der Männer tötete, hatte sich in den Tagen nach der Tat wieder mit Mitarbeitern von Violence Prevention Network getroffen. Sie nahmen ihn gerade in ihr Programm auf. „Wir werden uns damit abfinden müssen, dass es Menschen gibt, denen wir nicht in den Kopf schauen können“, sagt Thomas Mücke, der Geschäftsführer des Netzwerks. „Doch es hat uns überrascht, dass niemand eine Veränderung bei ihm bemerkt hat.“ Eigentlich, sagt er, hätten die erfahrenen Mitarbeiter ein Gespür für solche Situationen.

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Die Mitarbeiter der Programme arbeiten eng mit den Sicherheitsbehörden zusammen und schlagen Alarm, wenn sie glauben, dass von einem Täter eine Gefahr ausgeht. Auch die Behörden sagen den Organisationen frühzeitig, wenn Islamisten etwa aus Syrien zurückkommen und nicht in Untersuchungshaft genommen werden können. Der Großteil der Kontaktaufnahmen findet aber in den Gefängnissen statt. Viele Verdächtige melden sich schon während der Untersuchungshaft. Die Anwälte legen es ihnen nahe, um vor dem Urteil einen guten Eindruck auf die Richter zu machen. „Aber wir sind da vorsichtig“, sagt Mücke, „die Motivation ist in solchen Fällen nicht unbedingt authentisch.“

Die Gefahr, nur für ein milderes Urteil oder eine frühere Haftentlassung benutzt zu werden, besteht natürlich für alle Programme, ob staatlich oder privat. Bei Terrorstraftaten ist die Möglichkeit, nach zwei Dritteln der Haftzeit auf Bewährung entlassen zu werden, aber sehr beschränkt. Die Gerichte haben hier strengere Anforderungen, vor allem mit Blick auf die Gefahren für die Allgemeinheit. Vom Gesetz ist zudem das Prognosegutachten eines Psychiaters vorgeschrieben. Doch auch der ist nicht unfehlbar.

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