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#Antiquiertes Steuermodell? Es geht auch mit Ehegattensplitting

Es passiert nicht oft, dass man Steuererhöhungen für die Mitte der Gesellschaft fordern kann und damit auf Wohlwollen trifft. Diese Chance aber hat SPD-Chef Lars Klingbeil Anfang der vergangenen Woche genutzt. Er wiederholte die alte Forderung, das Ehegattensplitting abzuschaffen. Damit ist gemeint, dass Ehepaare steuerlich wie ein Haushalt betrachtet werden und es dem Finanzamt egal ist, wer das Geld verdient. Diese Regel wird oft für Deutschlands traditionelles Rollenmuster verantwortlich gemacht. So auch von Klingbeil: Mit der Abschaffung „würden wir dem antiquierten Steuermodell, das die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau begünstigt, ein Ende setzen“, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.

Patrick Bernau

Verantwortlicher Redakteur für Wirtschaft und „Wert“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Tatsächlich ist das Ehegattensplitting unterschiedlichen Lebensmodellen gegenüber viel neutraler, als Klingbeil vorgibt. Das Ehegattensplitting begünstigt nämlich keine Rollenverteilung. Dem Finanzamt ist es egal, ob jeder Ehepartner 3000 Euro verdient oder einer 6000 Euro verdient und der andere nichts – es werden immer die gleichen Steuern fällig. Würden beide Ehepartner individuell besteuert, wäre das anders. Dann wäre nur die Gleichverteilung der Arbeit steuerlich günstig, alle anderen Aufteilungen würden steuerlich bestraft. So entstehen zusätzliche Steuern für den Staat, und die Wahlfreiheit wird kleiner.

Warum befürworten viele Ökonomen die Einschränkung trotzdem? Weil sie hoffen, dass die Steuerbelastung von Frauen sinkt und die Frauen dann mehr arbeiten. Das würde die Gleichstellung fördern und dringend benötigte zusätzliche Arbeitskraft bringen.

Es wäre eine Steuererhöhung

Ob die Deutschen wirklich dafür bereit sind, ist längst nicht sicher. Selbst heute noch gibt es ungefähr gleich viele Mütter, die mehr oder weniger arbeiten wollen, wie Umfragen zeigen. Selbst die meisten jungen Frauen finden, Frauen mit kleinen Kindern sollten nur rund 20 Stunden in der Woche arbeiten, die Männer dagegen Vollzeit. Analysen des Ifo-Instituts zufolge kommen Deutschlands Ehepaare erst allmählich dahin, dass die Einzelbesteuerung besser zu ihrem Leben passt als das Ehegattensplitting.

So viel steht fest: Stand jetzt wäre eine Einschränkung des Ehegattensplittings eine Steuererhöhung. Je nach Variante geht es um 5 bis 15 Milliarden Euro im Jahr. Als Erstes würden junge Ehepaare getroffen und damit auch junge Familien, und zwar längst nicht nur solche, die viel verdienen. Einige Frauen würden anschließend tatsächlich mehr arbeiten, glauben Ökonomen. Sie schätzen: Im Durchschnitt könnte die Arbeitszeit von Frauen um ein bis zwei Prozent wachsen. Am Ende ginge das dann oft so aus: Die Frau arbeitet zwar mehr, aber netto bleibt trotzdem weniger Geld übrig.

„Mit dem Geld kann der Staat ja was Sinnvolles machen“, findet Stefan Bach am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, er denkt zum Beispiel an eine Erhöhung des Kindergelds. So ähnlich klingt Andreas Peichl am Ifo-Institut: „Wenn auf der anderen Seite die Steuern gesenkt würden, dann wäre die Umstellung keine Steuererhöhung, und die Familien könnten von der Mehrarbeit tatsächlich finanziell profitieren.“

Doch das war nicht der Vorschlag von SPD-Chef Lars Klingbeil. Der wollte die Steuererhöhung nutzen, um Haushaltslöcher zu stopfen, zum Beispiel fürs Elterngeld. Olaf Scholz machte die Idee ganz deutlich, als er Ende der Woche sagte, er könne sich ein Splitting-Aus für hohe Einkommen vorstellen. Politisch gibt es darauf derzeit keine Chance.

Steuerklassen III und V abschaffen

Realistisch wäre dagegen, dass die Bundesregierung statt des Ehegattensplittings die Steuerklassen III und V abschafft, mit denen der Hauptverdiener geringer besteuert wird als der Zweitverdiener. Das steht schon im Koalitionsvertrag. Übrig bliebe die Steuerklasse IV für beide Ehepartner, die sich mit etwas Aufwand auf die tatsächlichen Gehaltsverhältnisse einstellen lässt. Derzeit spricht die Bundesregierung mit den Bundesländern und rechnet, wie das am besten funktionieren könnte.

Theoretisch machen die Steuerklassen nicht viel aus. Schließlich bestimmen die Steuerklassen nur, wie viel Steuer während des Jahres vom Lohn abgezogen wird. Am Ende des Jahres wird sowieso alles mit der Steuererklärung wieder ausgeglichen. Doch in der Praxis gibt es da schon einen Unterschied. Da geht es nicht nur um den Eindruck, der beim Blick auf die Lohnabrechnung entsteht. Die Steuerklassen haben handfeste wirtschaftliche Folgen, wie Leonie Koch von der Ludwig-Maximilians-Universität in München betont: Viele Ehepartner haben eigene Konten zumindest zusätzlich zum gemeinsamen Konto. Da bekommt der Zweitverdiener dann zu wenig überwiesen und der Hauptverdiener eher zu viel. Und wenn die Steuererstattung vom Finanzamt kommt, geht sie längst nicht immer aufs Konto des Zweitverdieners.

Das Steuerrecht versteht sowieso kaum jemand. Umso wichtiger ist der Eindruck, den die monatliche Lohnabrechnung hinterlässt. In einer Welt ohne die Steuerklasse V wirkt der Verdienst des Zweitverdieners viel realistischer, als das heute der Fall ist. Das dürfte es für viele Frauen attraktiver machen, mehr zu arbeiten.

Ökonomin Koch ist gerade dabei zu berechnen, wie viel das ausmacht. Ihre ersten Ergebnisse deuten darauf hin, dass junge Frauen in der Steuerklasse IV tatsächlich rund 1,5 Prozent mehr arbeiten als in einer Welt mit Steuerklasse III/V. Nun ist diese Zahl schwierig zu vergleichen mit den Schätzungen, die andere Ökonomen für die Abschaffung des Ehegattensplittings abgegeben haben. Aber die Größenordnung ist schon mal die gleiche. Gut möglich, dass die im Prinzip schon beschlossene Abschaffung der Steuerklassen III und V für die Gleichstellung von Frau und Mann ebenso viel tut wie eine Abschaffung des Ehegattensplittings, ganz ohne Steuererhöhung.

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