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#Dafür soll er bezahlen: Juliane Pickels Jugendroman „Rattensommer“

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Der Mann, der ihre Mutter auf dem Gewissen hat, ist wieder draußen, und für Sonny gibt es nur ein Thema in diesen Sommerferien: Rache. Juliane Pickel erzählt von Trauer und Wut und einer ungleichen Freundschaft.

Lou Marinko hat Angst. Angst vor dem Grün, diesem Grün ganz unten im See, davor, dass da unten etwas ist, das vielleicht nicht mehr nur da unten ist, wenn sie es erst einmal gesehen hat. Sondern überall. Deshalb hat Lou, eigentlich Louise, Angst vor dem Schwimmen, sosehr Sonny, ihre beste Freundin seit Kindheitstagen, auch auf sie einredet.

Fridtjof Küchemann

Redakteur im Feuilleton.

Dabei ist doch Sonny das Sorgenkind in Juliane Pickels neuem Jugendroman „Rattensommer“ und Lou diejenige, die immer wieder vergeblich versucht, sie von irgendetwas abzuhalten: „Ich erwarte hinter der nächsten Ecke immer eine Katastrophe – und Sonny ein Abenteuer.“ In diesen Sommerferientagen, die damit beginnen, dass Lou Sonny deren Zeugnis hinterherträgt ins tiefe Becken des verlassenen Schwimmbads, einen Ort, den nur sie beide kennen, bloß damit Sonny das Papier lässig mit ihrer Zigarette abfackelt, soll endlich was passieren. Findet Sonny. Und dann passiert etwas, das sie schlicht nicht für möglich gehalten hat: Hagen Bender ist aus dem Gefängnis entlassen worden. Der Mann, der Sonnys Mutter auf dem Gewissen hat, der vor bald fünf Jahren in einem Schnellimbiss die Nerven verloren und Ava, die ihn nur hatte beruhigen wollen, so gegen ein Geländer gestoßen hat, dass sie gestorben ist.

Für Sonny ist er ein Mörder, und alle, die es anders sehen, sind gegen sie. Wenn sie darüber nachdenkt, was er getan hat oder wie sie Rache nimmt, verdüstert sich ihr Blick, ihre Augen werden dunkelgrün – das zweite Dunkelgrün, mit dem Lou irgendwie klarkommen muss. Und seit Sonny begriffen hat, dass er wieder draußen ist, geht es für sie nur noch darum, Rache zu nehmen: darum, Benders Schwachstellen herauszufinden, um einen Plan und um die richtigen Leute für seine Umsetzung.

Die Nummer zwei, so wie wir

Tayo aus der Schule ist so einer, er jobbt für Bender, weiß, wann der nicht zu Hause ist und wo der Schlüssel liegt. Also schmeißt Sonny sich an ihn ran. Und Lou schaut entgeistert zu. Immerhin waren es doch sonst immer die beiden Freundinnen, die alles miteinander teilten und genau wussten, was die andere fühlt und denkt. Und immerhin knistert es doch neuerdings so heftig zwischen den beiden fünfzehn, sechzehn Jahre alten Mädchen, zuerst bei absichtslosen Berührungen, dann bei einem Kuss und einer wilden Knutscherei.

Dabei ist Lou mehr als die ideale Erzählerin einer rasanten Geschichte vom Beifahrerinnensitz aus, als Vertraute, als Mitwisserin, als Nummer zwei, die stellvertretend für die Leser des Jugendromans Stellung bezieht zu dem, was dessen Heldin ausheckt. Sie ist auch in ihrer Familie eine Nummer zwei, kleine Schwester eines Sternenkinds, genau ein Jahr nach dem Mädchen geboren, das eigentlich den Namen Louise hatte bekommen sollen und ebenso tabuisiert wie präsent das Leben der Familie bestimmt. Die Frage, ob sie wirklich gemeint ist mit dem, was andere mit ihr und von ihr wollen, beschäftigt Lou also auch außerhalb ihrer Freundschaft mit Sonny. Ein Leben lang.

Juliane Pickel: „Rattensommer“. Roman. Beltz & Gelberg, Weinheim 2023. 256 S., geb., 16,– €. Ab 14 J.


Juliane Pickel: „Rattensommer“. Roman. Beltz & Gelberg, Weinheim 2023. 256 S., geb., 16,– €. Ab 14 J.
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Bild: Beltz & Gelberg

Und so ist die Geschichte, wie ein Teenager zwischen Trauer und Wut, Schuldgefühl und Versprechen versucht, Rache zu nehmen an einem Mann, der den Tod der Mutter verschuldet hat, nicht die einzige packende Erzählung in Juliane Pickels zweitem Jugendroman. „Rattensommer“ erzählt zudem die Geschichte eines Entgleitens, die sich um die Frage dreht, wie sich Freundschaft, Loyalität, Verbundenheit bewährt – als bedingungslose Unterstützung bis hin zur Mittäterschaft oder eben auch in dem Versuch, die andere vor dem Schlimmsten zu bewahren.

Der wirklich fesselnde Strang in Juliane Pickels sinnlicher Erzählung, in der es schimmert, schreit und stinkt wie selten in der aktuellen Jugendliteratur, ist allerdings die Geschichte einer Emanzipation: Wie Lou sich ihren Ängsten stellt, wie sie sich von der Faszination, der Liebe, den Erwartungen und dem Druck ihrer Freundin zu lösen beginnt, langsam und schmerzlich, macht „Rattensommer“ zum Ereignis. Dass die Autorin ihre Erzählerin dabei auch die eigene Familie in den Blick nehmen lässt und schließlich sich selbst, macht das Buch zu einer großen Geschichte über das Erwachsenwerden.

Juliane Pickel: „Rattensommer“. Roman. Beltz & Gelberg, Weinheim 2023. 256 S., geb., 16,– €. Ab 14 J.

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