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#Das Leben ist eine Zitrone

Das Leben ist eine Zitrone

„Never hate your enemies“, lässt Mario Puzo seinen Godfather sagen. Hass trübe das Urteilsvermögen. Und Don Michael ist mächtig genug, sich diesen Luxus leisten zu können. Das macht bekanntlich einen Paten aus, so hart zu sein, dass er diese Härte nicht mehr beweisen muss. Tony Sopranos Entenliebe war keine Schwäche, sondern ultimatives Insigne seiner Macht. Für Darsteller ist das waghalsig: Es gilt, die Sensibilität selbst ins Beängstigende zu verrücken. Sie müssen ausweglos verloren wirken, aber dabei wie Sieger. Jedes Selbstmitleid ist ein Todesurteil.

Im deutschen Film hatten wir denn auch lange keine Paten, nur Schurken, die Schurkensprache sprachen und zu Karikaturen verkamen, wenn sie charismatisch zu sein versuchten. Bis zu Kida Khodr Ramadan, der Inkarnation Kreuzberg-Neuköllns. Niemand kann so hinreißend eiskalte Sätze in seinen (diesmal gestutzten) Bart nuscheln wie dieser flauschbärige Anführer, der sich vom Kleinganoven zum Paten hochgespielt hat. Wohl ewig wird man ihn mit Toni Hamady aus „4 Blocks“ identifizieren, so überragend war seine Verkörperung des libanesischen Berliner Clanchefs mit verträumtem Blick und glaubhaftem Überdruss am Verbrechertum, das natürlich trotzdem erledigt werden musste.

Ramadans erstes Soloprojekt

Dass sich Ramadans erstes Soloprojekt, bei dem er für Buch (gemeinsam mit Juri Sternburg), Regie und Hauptrolle verantwortlich zeichnet, mit Anlauf dem Genre in die Arme wirft – von Knast-Coolness bis zu libanesischem Clan-Kult –, verwundert wenig und ist an sich auch völlig richtig. Auch dass der Deutschen liebster Knuddel-Gangster dabei die Paten-Philosophie aufs Filmemachen selbst anwendet, nämlich da sensibel zu werden, wo alle Welt Härte erwartet, ist stimmig und gelingt sogar momentweise. Das liegt allerdings meist an Emma Drogunova, die die Rolle der lebenshungrigen Tochter des gnadenhalber – Krebs im Endstadium – aus lebenslanger Haft entlassenen Nabil (Ramadan selbst, arg leidgeplagten Blicks) derart quirlig ausfüllt, dass es eine Freude ist. Juju, aufgewachsen bei der Alkoholikerin Cora (Anna Schudt, die auch das spielen kann), wusste von dem kriminellen Vater nichts, arrangiert sich aber schnell mit dem liebenswürdigen Ex-Knasti, weil sie ihre Chance wittert, an der Seite Nabils dem drögen Leben im ostdeutschen „Dreckskaff“ zu entkommen. „Nach Berlin“, lautet ihr Traum. Und ebenda muss Nabil hin, in seine alte Gangster-Hood.

Der nicht allzu originelle, melodramatische Plot wird nun kaum besser dadurch, dass sich bald platte Einfälle rund um einen Nabil noch zustehenden Geldanteil aneinanderreihen. Er hat schließlich nur deshalb als Polizistenmörder gesessen, weil er, so will es der Ehrenkodex, seinen Clan-„Bruder“ und Kindheitsfreund Ivo (schön ausgemergelt: Stipe Erceg), der im Handgemenge den Schuss abgegeben hatte, nicht verpfiffen hat. Etwas erzählerische Tumbheit darf sich das Genrekino freilich erlauben, zumal die Besetzung eine Wucht ist. Selbst für Kleinstrollen standen Ramadan Darsteller wie Sabin Tambrea, Thorsten Merten, Frederick Lau, Tom Schilling und Gisa Flake zu Verfügung. Doch leider bleibt hier zwischen leerem Pathos, Holzhammersymbolik (das kalte Berlin, das aber das erfrorene Herz des Helden auftauen lässt) und einfältigen Dialogen, die gleichwohl bedeutungsschwere Identitätsfragen streifen („Leg dich nicht mit uns an, wir sind Libanesen“), kaum Platz für das nur hin und wieder aufblitzende freie Spiel zwischen den hervorragenden Schauspielern.

Heimweh nach dem Libanon

Inhaltlich kaum nachvollziehbar ist schon die B-Movie-Idee, den im Knast respektierten Protagonisten zunächst als heroisch gebrochenen Schweiger zu inszenieren, der das Angebot der Haftentlassung nur mit dem Herausbrechen eines Zahns kommentiert. Von Selbstmitleid ist er jedoch ebenso frei wie von Gewissensbissen (er hat ja auch nicht geschossen). Warum also sollte er so reagieren? Kaum hat Juju dann einmal „Papa“ zu dem um ihre Zuneigung Buhlenden gesagt, kehrt der ohne jede Vorwarnung den Traditionalisten hervor, jagt den neuen Freund (Karim Günes) der Tochter davon: „Wo ich herkomme, da gibt es Ehre und Stolz, das geht nicht, was du machst.“ Von ihr zurechtgewiesen („Fick nicht mit meiner Freiheit“), wird der Freund gleich lächelnd in der Familie willkommen geheißen: Thema arabisches Geschlechterverständnis abgeschlossen. Ähnlich abrupt und folgenlos bringt ein Onkel Nabils das unerfüllte Heimweh nach Libanon zur Sprache. Die Abkehr vom Clan passt in sechs Worte: „Du bist nicht mehr mein Bruder.“ In Sachen Krebs vollzieht sich eine Art emotionale Wunderheilung, bevor das Finale gänzlich im Klischee versinkt. Das alles wirkt so abgegriffen, als stamme das Drehbuch aus Ivos zwielichtigem Import-Export-Business.

Dass sich Ramadan, wie in Interviews geäußert, nicht auf die so perfekt ausgefüllte Rolle des arabischen Obermafioso festlegen lassen wollte, ist verständlich. Aber ein halber Pate mit Familiensorgen, Streicheruntermalung und Krankheitspathos war der Abgrenzung vielleicht nicht genug, zumal die Kamera von Ngo The Chau die schmutzige Genreperspektive beibehält. Ja, das Halbgare ist der Feind des Verdaubaren, aber seien wir so großzügig wie Don Michael. Dann fällt das Urteil milder aus. Schließlich sehen wir hier nicht nur, was in Berlin nicht wächst (eine zauberische Wim-Wenders-Dramaturgie in kahlrasierter Groschenheft-Neuauflage oder ein Franz Biberkopf im Gangsta-Milieu), sondern auch, was da trotzdem gewachsen ist: ein tief echter Schauspieler, dem man sogar in einem durchweg schwachen Film gebannt zusieht, und eine so energetische junge Darstellerin, dass man wieder versteht, warum sich einmal halb Europa in diese Stadt verliebt hat.

In Berlin wächst kein Orangenbaum läuft heute um 22.50 Uhr im Ersten.

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