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#Der helle Falke fliegt nur online

Der helle Falke fliegt nur online

Die russische Theaterkritikerin Marina Dawydowa kommt viel in der Welt her­um, aber einen vergleichbaren Boom neuer Bühnenproduktionen und einen Publikumsandrang wie in Moskau erlebe sie nirgends, sagt sie, als wir sie in einem Café treffen. Es komme ihr fast pathologisch vor, wie die Hauptstadtbewohner abends in die Theater drängen, deren Zahl seit dem Ende der Sowjetunion nicht kleiner geworden sei, wo die günstigen Tickets aber heute 75 Euro kosten. In der Situation politischer Repressionen und der Machtlosigkeit der Zivilgesellschaft werde die Kultur für die Moskauer, die ja nie mehrheitlich für Präsident Putin gestimmt haben, immer offensichtlicher zum Fluchtraum, glaubt Da­wydowa. Wäre sie eine Staatsfunktionärin, so die oppositionelle Intellektuelle, würde sie die Bühnen daher noch stärker subventionieren.

Da gesellschaftspolitische Themen wie­­der, wie zu Sowjetzeiten, in der Ersatzöffentlichkeit der Kultur verhandelt werden müssen, machen Inszenierungen Furore, die den Zynismus der im Zuschauersaal sitzenden, durch ihre Aufstiegsorientiertheit klassensolidarisch mit­­­einander verbundenen besseren Ge­sellschaft unterhaltsam persiflieren, vorzugsweise im Gewand aktualisierter Klas­­siker. Zumal Konstantin Bogomolow hat in seinen Dostojewski-Produktionen das Widerspiegeln der Partygemeinschaft der „Tussowka“ zur Perfektion gebracht (F.A.Z. vom 11. November). Mit seiner radikalen Modernisierung von Alexander Ostrowskis Komödie „Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste“ am Moskauer Theater der Nationen geht Bogomolow nun noch einen Schritt weiter. Ostrowskis Sittenbild um den talentlosen, aber berechnenden jungen Mann, dem durch Schmeichelei eine Senkrechtkarriere glückt, verwandelt er in einen vergnüglichen Satansball, bei dem der Regisseur auch den Gastgeber und Conférencier gibt.

Der Widerstand der „Ökofeministin“ wird vom geschmeidigen Aufsteiger Glumow (Alexander Nowin) mühelos gebrochen.





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Moskauer Theaterpremieren
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Ostrowski und Tschechow neu gesehen

Ostrowskis gut vernetzte Persönlichkeiten werden bei Bogomolow zu Angehörigen der kremlnahen Elite, die das Gegenteil von dem tun, was sie predigen. Der staatlich geschützte Unternehmer Mamajew (mit dekadentem Flair: Alexander Semtschew) hält sich jugendliche Gespielen, seine für die Regierung tätige Gattin (mit schwüler Glut: Natalja Schtschukina) fahndet mit Hilfe ihrer an­geblich Waisen helfenden Stiftung nach frischen Liebhabern, veranstaltet Transvestitenshows und lässt sich von ihrem ehrgeizigen jungen Verwandten Glumow (verschmilzt mit jeder Tapete: Alexander Nowin), der seine spitze Feder bisher beim Telegram-Kanal „Fließe, Dreck!“ (Lejsja, gowno) erprobte, willig umgarnen. Über allen wacht – als Ostrowskis hoher politischer Funktionsträger – ein schmallippiger Geheimdienstgeneral, den seine Menschenkenntnis philosophisch macht und den Starkünstler wie der Kultdirigent Teodor Currentzis und Bogomolow selbst untertänigst zu ihren Premieren einladen.

Wie der Sängerschauspieler Grigori Wer­nik, Currentzis’ Akzent imitierend, dessen erotomanes Credo von der Musik, die der Liebe und damit Gott gleich sei, den Zuschauern der vorderen Reihe vorsäuselt, die je 190 Euro für ein Ticket bezahlt haben, lohnt allein schon den Besuch des Abends, der seinen Spott freilich nach dem Gießkannenprinzip auf die Figuren ausschüttet. Die russische Protestbewegung, mit der Bogomolow noch unlängst sympathisierte, verhöhnt er nun durch die Gestalt der bei ihm lesbischen Tochter des Geheimdienstlers, die – wie viele starke Frauen bei Bogomolow – von einem Mann als kämpferische Ökofeministin verkörpert wird, die der glatte Glumow mit ein paar Judogriffen zähmt. Der Epilog versetzt in eine Strafkolonie im Jahr 2025, wo Glumows im Stück verurteilter Kollege von „Fließe, Dreck!“ immer noch schmachtet und erfährt, dass Russland sich längst die Ukraine einverleibt hat. Beim Applaus tritt das Ensem­ble zum Gefangenenappell an.

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