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#Der Kampf für mehr Süden, mehr Jugend, freiere Liebe

„Der Kampf für mehr Süden, mehr Jugend, freiere Liebe“

Eine populäre Legende aus dem Münchner Nachtleben (deren Echtheit aber mindestens zwanzig Menschen bestätigen, die angeblich dabei waren) erzählt davon, wie es in einer Sommernacht in den frühen Achtzigern an der Tür des „P1“ zu folgendem Dialog gekommen sei: Draußen standen ein paar zottelige, sehr selbstbewusste Männer. In der Tür stand Jan Klophaus, der Türsteher und sagte: „Heute nicht.“ Die Männer protestierten: „Wir sind aber die Scorpions.“ Der Türsteher grinste: „Eben!“

Ob es stimmt oder nicht, stimmig ist die Geschichte schon deshalb, weil, wer alt genug ist und damals in München lebte, sich womöglich daran erinnern kann, dass zur selben Zeit zum Beispiel eine lebensfrohe Sprachenschülerin oder ein sich als intellektuell aufspielender Politikstudent vom selben Türsteher lächelnd hereingewinkt wurden, obwohl allen klar war, dass die beiden sich mehr als zwei Drinks nicht würden leisten können und danach entweder Leitungswasser trinken mussten oder so taten, als gehörten sie zu den Leuten, denen an diesem Abend ein reicher Mensch den Champagner spendierte. Sie waren eben jung, und sie passten in die Mischung, die der kluge Türsteher vielleicht schon damals eine soziale Skulptur genannt hätte.

Freibeuter der Nächte

Von solchen Feinheiten weiß die vierteilige Amazon-Serie „Schickeria“ aber nur insofern, als sie immer wieder sehr lustige, überdrehte, völlig hemmungslose Szenen aus dem Nachtleben der späten Siebziger und frühen Achtziger zeigt. Und man, wenn man will, darin ganz deutlich sehen kann, dass all die Partys und Tanznächte recht öde geendet hätten, wenn dort die reichen Leute nur unter sich geblieben wären. Es brauchte dringend die Freibeuter der Nächte, die, statt des Geldes, ihre Jugend, ihre Schönheit und eine starke Kondition beim Feiern mitbrachten. Der Kommentar der Serie allerdings führt das Ende der Schickeria, das er schon zum Beginn der dritten Folge kommen sieht, auf die „Kommerzialisierung“, auf steigende Mieten und immer stärkere Abgeschlossenheit derer, die sich das Feiern leisten konnten, zurück.

Wobei die Serie außerdem noch das Oktoberfestattentat nennt, dessen dramaturgische Verwendung als Menetekel allerdings pietätlos wirkt – zumal aus diesem Schrecken rein gar nichts folgt im Verlauf der Handlung. Schlüssiger ist da schon die Vermutung, dass Aids die allgemeine Libertinage vielleicht nicht ganz beendet, aber doch ziemlich abgekühlt habe. Den Todeskuss habe aber Helmut Dietl der Schickeria verpasst, mit „Kir Royal“, der Fernsehserie, die als Parodie so elegant, böse und intelligent gewesen sei, dass die echte Schickeria sich selbst danach nicht mehr ertrug: Man konnte sich ja die Dialoge fürs richtige Leben nicht auch von Dietl und Patrick Süskind schreiben lassen.

In den Ruinen von Berlin

Die Erklärung, dass bald nach der Wiedervereinigung die besten Partys nicht mehr in München, sondern in den Ruinen von Ostberlin gefeiert wurden, weil es dort so spektakuläre Kulissen gab: Die war den Machern der Serie anscheinend zu banal. Oder sie passte nicht ins Konzept, das darauf hinausläuft, dass ein paar Münchner und Ex-Münchner, die alt genug sind, sich an die Sechziger und Siebziger zu erinnern; dass also Iris Berben und Thomas Gottschalk, Fritz Egner und später, wenn die Achtziger näher rü­cken, die Fürstin Gloria vor allem davon erzählen, dass sie alle einmal jung waren und eine Menge Spaß daran hatten; dass also die eigene Jugend und Münchens große Zeit für sie zusammenfallen.

Wer nur ein wenig jünger ist, wird womöglich von anderen großen Zeiten erzählen, von Rainald Goetz oder Hito Steyerl im „Tanzlokal Größenwahn“, von Prince, der auf der Treppe zur Empore im „P1“ sitzen durfte; oder vom Barkeeper aus „Harry’s New York Bar“, der so lange davon erzählte, dass er eines Tages seine eigene Bar aufziehen würde, bis ihm 1982 nichts anderes übrig blieb und er jene Bar eröffnete, die auch heute noch die berühmteste der Welt ist (und die nicht vorkommt in der Serie).

Andererseits war die Wahrscheinlichkeit, in Münchner Bars, Diskotheken und Wirtshäusern auf Jimmy Page und Robert Plant zu treffen, auf Donna Summer oder Freddie Mercury oder, in Uschi Obermaiers Bogenhausener Wohnung gleich auf beide, Keith Richards und Mick Jagger, niemals größer als in den Siebzigerjahren. Und die Serie weiß auch, wer dafür verantwortlich war: Es war der Südtiroler Giorgio Moroder, der im Keller des Arabellahauses ein extrem beliebtes Tonstudio eingerichtet hatte, und es war der Toningenieur Reinhold Mack, der dort für den einzigartigen Sound sorgte.

Die hedonistische Revolte

„Schickeria“ war wohl, man muss sich nur den gleichnamigen Song der Spider Murphy Gang anhören, eher ein Begriff für jene, denen die ganze Feierlaune zu frivol, zu oberflächlich, zu ungesund war. Dass die Serie das Phänomen mit den Schwabinger Krawallen im Juni 1962 beginnen lässt, ist aber keine schlechte Idee: Damals, so erzählten später die, die mitgerauft hatten, sei es um mehr Süden, mehr Jugend, freiere Liebe gegangen, nicht um die Wiedergründung einer Räterepublik. Wenn Iris Berben allerdings, sehr charmant, vom harten und heroischen Kampf gegen die Spießer und Verklemmten berichtet, ist das sicher die Wahrheit. Aber vielleicht nicht die ganze. Tief im kollektiven Gedächtnis der Stadt war, damals mehr als heute, die Erinnerung an die Boheme der vorvergangenen Jahrhundertwende gespeichert – an Künstler, deren Atelierfeste und Faschingsfeiern noch viel wilder waren. Und die schon damals spürten, dass in einer Stadt, die ihren Katholizismus selbst noch in der Fastenzeit als Feier (hier: des Starkbiers) praktiziert, jede neue hedonistische Bewegung sehr willkommen ist.

„Schickeria – Als München noch sexy war“ läuft bei Amazon Prime.

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