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Die Rückkehr

Andreas Gursky verließ die DDR im selben Jahr wie seine spätere Lehrerin Hilla Becher, 1955. Nur war sie da schon einundzwanzig und ausgebildete Fotografin, während er gerade erst ein paar Monate zählte, als die Eltern mit ihrem einzigen Kind in den Westen gingen. Die Fotografie war ihm jedoch gleichsam schon in seiner Geburtsstadt Leipzig in die Wiege gelegt worden: Der Vater, Willy Gursky, arbeitete dort als Berufsfotograf, und auch der Großvater, Hans Gursky, hatte im nahen Taucha ein Fotostudio unterhalten.

Andreas Platthaus

Die Ausreise von 1955 setzte dieser sächsischen Fotografendynastie ein Ende, denn Andreas Gursky wuchs danach in Düsseldorf auf, wo er 1980 in die Klasse von Bernd und Hilla Becher an der Kunstakademie aufgenommen wurde, also nun in die Wiege der international erfolgreichen deutschen Fotokunst der Gegenwart. Auch Gursky wurde berühmt als Düsseldorfer.

Bilder am richtigen Ort

Nun ist er zurückgekehrt nach Leipzig, zur ersten großen Ausstellung in seiner Geburtsstadt. Das Museum der bildenden Künste ist der richtige Ort dafür, denn die riesigen Säle bieten Raum für Gurskys Überformate. Nahezu das ganze dritte Geschoss ist mit seinen Bildern bestückt, insgesamt rund sechzig.

Besucher in der Leipziger Gursky-Ausstellung, im Hintergrund das Bild „Schweine“ (2020)


Besucher in der Leipziger Gursky-Ausstellung, im Hintergrund das Bild „Schweine“ (2020)
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Bild: EPA/VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Und es sind einige Aufnahmen aus der Meisterschülerzeit bei den Bechers und den Jahren vor der Weltberühmtheit zu sehen, die seine doppelte Herkunft verraten: einmal durch die wie bei den Bechers leergewischten grauen Himmel von Essen, Ratingen oder Zürich und über den Flussläufen von Ruhr und Rhein – perfekt komponierte Ansichten, die bei Gursky allerdings immer farbig angelegt sind. Aber dann spiegelt sich in der Aufnahme des Ratinger Freibads von 1987 auch eine fotografische Vorliebe seines Großvaters, die in einer Tischvitrine desselben Saals dokumentiert ist: mit zahlreichen postkartengroßen Schwarzweißbildern aus der Zwischenkriegszeit vom Schwimmbad in Taucha.

Bilder zur richtigen Zeit

Plötzlich wird Andreas Gursky also auch zum Rückkehrer in die eigene Familie. Die Werbeaufnahmen, die sein Vater nach der Ankunft in Westdeutschland anfertigte, fanden ihr Echo in der Faszina-tion des Sohnes für Warenwelten, die in so bekannten Kompositionen anschaulich wird wie „99 Cent“ aus dem Jahr 2001 (in Leipzig als „Remastered“-Version, also computertechnisch neu bearbeitet, von 2009 zu sehen) oder „Prada II“ von 1997, dem von ihm selbst für sein Foto inszenierten leeren Schuh-Showroom. Mit „Amazon“, dem Blick in ein Auslieferungslager, hat Gursky 2016 diese Werkgruppe noch einmal erweitert, und es dürfte kaum ein Foto geben, das die aktuelle gesellschaftliche Situation derart auf den Punkt bringt, wie dieses in jeder Hinsicht kunterbunte Sammelsurium von Konsumartikeln, die auf ihre Zustellung an isolierte Besteller warten, um deren grauen Alltag schönzufärben.

Andreas Gurskys „Paris, Montparnasse“ (1993) in der Leipziger Ausstellung


Andreas Gurskys „Paris, Montparnasse“ (1993) in der Leipziger Ausstellung
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Bild: AFP/VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Aber da sind auch die jüngsten, noch nie gezeigten Aufnahmen aus dem Vorjahr, also der Pandemiezeit selbst: allen voran „Kreuzfahrt“, eine um jeden Hintergrund bereinigte, vor schwarzen Fonds gesetzte und im Stil von „Paris, Montparnasse“, Gurskys Durchbruchsbild von 1993, gehaltene Panorama-Aufnahme eines Kreuzfahrtschiffs, in dessen Balkonmosaik man sich schon sehr bemühen muss, einen einzelnen Menschen zu finden. Oder „Apple“, die vexierend verhext wirkende, verschlierte Ansicht aus der kalifornischen Konzernzentrale des Unternehmens. Und geradezu programmatisch „Politik II“: eine im Arrangement von Leonardos Letztem Abendmahl angeregte Best-of-Versammlung bundesdeutscher Politprominenz rund um das Zentrum Merkel/Spahn vor einem riesigen Zifferblatt, das als Uhrzeit fünf vor eins zeigt – der Zeitpunkt zur Umkehr ist längst verpasst.

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