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#Die Zeitenwende trifft den Osten härter

„Die Zeitenwende trifft den Osten härter“

Seit 32 Jahren ist Deutschland vereint, doch Ostdeutschland gilt vielfach noch immer als Abweichung, während der Westen die Norm verkörpert. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, macht nun auf erfrischende Weise Schluss mit der öden Vermessung, wie viele Meter dem Osten noch zum Westniveau fehlen, jedoch ohne die Schwierigkeiten zu ignorieren. Lesenswert sind vor allem die Texte, die dem Bericht voranstehen, in denen Ostdeutsche von ihrer Lebenswirklichkeit erzählen. Sie offenbaren, wie vielfältig der Osten ist, und sie zeigen Lebenswelten, die ganz Deutschland unbedingt bereichern.

Dennoch waren, als Schneider den Bericht vorstellte, gleich wieder die üblichen Reflexe zu beobachten. Im Osten kippe die Stimmung, war in vielen Meldungen zu lesen. Wie gut für den Westen, lautete der kuschelig-wohle Subtext, da sei noch alles stabil. Das allerdings ist ein doppelter Trugschluss: Weder droht im Osten der Umsturz, noch ist im Westen alles in Butter.

Nichts anderes offenbart die zugrunde liegende Umfrage. Danach sank seit 2020 die Zufriedenheit mit der Politik in Ost und West um rund zehn Prozentpunkte. Freilich auf verschiedene Niveaus (Ost: 31 Prozent, West: 44), die gleichwohl zeigen, dass Politikverdrossenheit ein gesamtdeutsches Problem ist und ein „ernstzunehmendes Konfliktpotenzial“ birgt.

Ungleiche Eigentumsverhältnisse bleiben

Letzteres ist im Osten größer, wie auch offene Briefe an die Bundesregierung und Demonstrationen zeigen. Diese zu delegitimieren, wie es jetzt etwa mit dem Verweis auf den angeblichen Missbrauch der Montagsdemos von 1989 geschieht oder mit dem ewigen Vorwurf, die Menschen würden mit Rechtsextremen gemeinsame Sache machen, verfehlt das Thema. Auch 1989 waren Rechtsextreme unter den Demonstranten, später wurde montags etwa gegen Hartz IV demonstriert.

Natürlich gibt es immer Trittbrettfahrer, die versuchen, Krisen für ihre unseligen Zwecke auszunutzen, und es ist auch notwendig, das zu kritisieren. Die permanente Beschäftigung damit sollte jedoch nicht den Blick auf den Kern des Problems verstellen, und das sind die besonders im Osten als hilf- und planlos eingeschätzten Krisenbewältigungsversuche der Bundesregierung.




Die als Reaktion auf Putins Angriffskrieg ausgerufene „Zeitenwende“ trifft den Ostteil des Landes ungleich härter. Das liegt an schon oft beschriebenen, aber bemerkenswert wenig verinnerlichten Folgen der deutschen Teilung. Die meisten Ostdeutschen haben zwangsläufig weniger Wohlstand, weniger finanzielle Polster, weniger Sicherheiten, mit denen sie Krisen trotzen können. Die Löhne im Osten sind etwa ein Drittel niedriger, die Wochenarbeitszeit ist bis zu drei Stunden länger, und die Rente fällt nach 45 Beitragsjahren um rund 200 Euro geringer aus.

Betriebs- oder gar Privatrenten gibt es selten, vom Erbe ganz zu schweigen. Große Teile Ostdeutschlands, das lässt sich an der Erbschaftsteuer ablesen, werden schon seit geraumer Zeit in Westdeutschland vererbt. So werden ungleiche Eigentumsverhältnisse fortgeschrieben, fließen Mieten von Ost nach West.

Mangel an Ostdeutschen in allen Institutionen

In so einer Ausgangslage lösen explodierende Strom- und Gaspreise sehr schnell Existenzängste aus, zumal den Menschen Letztere noch aus den Neunzigerjahren in den Knochen stecken. Vielen ist der Neuanfang nach der Wiedervereinigung erfolgreich geglückt, doch sehen sie nun den Lohn der Aufbaujahre in Gefahr. Natürlich ist es zutreffend, dass ein Krieg vieles infrage stellt und dass nicht alles so weitergehen kann wie bisher. Gerade diese Einsicht aber vermissen viele bei der Bundesregierung. Dass etwa trotz explodierender Strompreise nicht alle inländischen Ressourcen mobilisiert, sondern in dieser Notlage auch noch Stromquellen politisch motiviert abgeschaltet werden, erinnert nicht wenige an die DDR.

Mindestens genauso ärgert viele, mit welcher Leichtigkeit in Berlin immer noch Krisen mit Geld zugeschüttet werden. Diese spätestens seit Angela Merkel zu besonderer Blüte gebrachte Art der Problembewältigung stößt, wie offene Briefe zeigen, vor allem Ost-Unternehmern bitter auf. Sie wollen keine Ausgleiche, die sie als Almosen empfinden, sie fordern stattdessen verlässliche Bedingungen, also Energiepreise, mit denen sie zuverlässig kalkulieren können.

Zum Misstrauen trägt nicht zuletzt der Mangel an Ostdeutschen in praktisch allen Institutionen der Bundesrepublik bei. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob mit dem Erfahrungshorizont von 1989 Entscheidungen getroffen werden. Das aber ist selbst in den Ost-Ländern bis heute nicht der Fall. Veränderungen über Institutionen oder Parteien anzustoßen, wie es im Westen üblich ist, erscheint vielen Ostdeutschen auch deshalb sinnlos. Auf die Straße zu gehen verspricht dagegen maximale Aufmerksamkeit. Die sollte jedoch nicht in Geschmacksurteilen enden, sondern den Protest als Teil der gesamtdeutschen Wirklichkeit verstehen.

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