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#Erlebt die Wehrpflicht ein Comeback?

„Erlebt die Wehrpflicht ein Comeback?“

Der Krieg in der Ukraine hat dazu geführt, dass Politiker parteiübergreifend darüber nach­denken, ob Deutschland eine Wehr- oder Dienstpflicht braucht. Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung: Nachdem viele das Thema mit Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 bereits als erledigt angesehen hatten, scheiterte vor vier Jahren Annegret Kramp-Karrenbauer damit, die Idee eines „Gesellschaftsjahres“ im politischen Berlin zu etablieren. Das lag einerseits daran, dass die damalige CDU-Generalsekretärin ihren Vorschlag kaum konturierte. Sie ließ offen, ob sie für einen freiwilligen oder einen verpflichtenden Dienst eintrat. Vor allem lag es aber wohl daran, dass die Zeit nicht reif dafür war.

Dies hat sich durch den Angriff Russlands auf die Ukraine geändert. Vor wenigen Tagen schrieb Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) auf seiner Internetseite, er sei „für eine allgemeine Wehrpflicht“. Später ergänzte er, es gehe ihm „zuallererst um ein verpflichtendes soziales oder gesellschaftliches Jahr, in dem jede und jeder zwischen 18 und 25 Jahren einen solidarischen Dienst an der Gesellschaft tun soll.“ Inhaltlich ähneln Ramelows Vorstellungen damit jenen des stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Carsten Linnemann, der für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr wirbt. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Wolfgang Hellmich, ist der Meinung, eine allgemeine Dienstpflicht könne „den Gemeinsinn fördern“.

Wehr- oder Dienstpflicht?

Zwischen Wehr- und Dienstpflicht bestehen rechtliche Unterschiede, auch wenn beide inhaltlich als Gesellschaftsjahr verstanden werden können. Die Wehrpflicht besteht seit 1956 und ist im Wehrpflichtgesetz geregelt. Wehrpflichtig sind alle deutschen Männer vom 18. Lebensjahr an. Im Zuge der Notstandsdebatte schrieb der Bundestag 1968 ins Grundgesetz, dass eine solche Pflicht verfassungsrechtlich zulässig ist. 2011 wurde daran nichts geändert. Die Abgeordneten ergänzten lediglich das Wehrpflichtgesetz dahingehend, dass die Pflicht zum Dienst von nun an nur noch im Spannungs- oder Verteidigungsfall gel­te. Letzterer ist nur dann gegeben, wenn Deutschland mit Waffengewalt an­gegriffen wird oder ein solcher Überfall unmittelbar droht. Bundestag und Bundesrat müssen das mit Zweidrittelmehrheit feststellen. Auch der Spannungsfall bedarf der ausdrücklichen Feststellung durch zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten. Eine Weltlage wie derzeit reicht allein nicht aus. Von beiden Sondersituationen abgesehen, ist die Wehrpflicht ausgesetzt. Möchte die Politik nun aufgrund des Ukrainekrieges daran etwas ändern, wäre eine erneute Anpassung des Wehrpflichtgesetzes notwendig. Das ist rechtlich nicht kompliziert: Es reicht eine einfache Mehrheit der Bundestagsabgeordneten. Einer Grundgesetzänderung bedarf es nicht.

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Die Wehrpflicht bewirkt nicht, dass alle davon Betroffenen zur Bundeswehr müssen. Das Grundgesetz schreibt vor, dass für Wehrpflichtige, die den Dienst an der Waffe nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, die Möglichkeit eines Ersatzdienstes außerhalb der Streitkräfte bestehen muss. Dieser Zivildienst war vor 2011 weit verbreitet – die Gewissensgründe wurden bereits seit Längerem nicht mehr aufwendig geprüft. Die Zivildienstleistenden halfen in Altenheimen und Kindergärten, aber auch in Jugendherbergen, Bahnhofsmissionen und weiteren Einrichtungen. Die So­­zialverbände betrachteten das Aussetzen der Wehrpflicht deshalb mit großer Skepsis – nicht aus Sorge um die Bundeswehr, sondern weil sie fürchteten, viele ihrer Aufgaben ohne „Zivis“ nicht mehr zu bewältigen.

Die Wehrpflicht, inklusive ihres Ersatzdienstes, gilt nur für Männer. Dies wird seit Langem in Frage gestellt: Bereits 1961 löste der Hamburger Universitätsrektor Helmut Thielicke eine Debatte aus, da er mit einem Dienstjahr für Frauen dem Mangel an Krankenschwestern abhelfen wollte. Auch heute halten viele die Pflicht allein für Männer nicht für zeitgemäß, weil sie der Gleichberechtigung widerspreche. Zwingend ist dieser Schluss nicht: Auch wenn Männer und Frauen vor dem Grundgesetz gleich sind, lässt es Unterschiede durchaus zu. Möchte die Politik, dass insbesondere Akademikerinnen ohne berufliche Nachteile früher als bisher Kinder bekommen, müssen die Verantwortlichen abwägen, ob ein Pflichtjahr für Frauen am Ende wirklich deren Emanzipation hilft.

Verfassung müsste bei Dienstpflicht geändert werden

Soll eine Dienstpflicht für alle dennoch eingeführt werden, geht das nach Ansicht fast aller Juristen nur mittels Grundgesetzänderung. Dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Zwei Ausgestaltungen sind für die Verfassungsänderung denkbar: Entweder könnte der Wortlaut der Wehrpflichtnorm so an­gepasst werden, dass eine Wehrpflicht auch für Frauen zulässig ist. Oder die Bundestagsabgeordneten gehen an das Verbot des Arbeitszwangs heran: Niemand darf bisher zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden. Ausnahmen gelten lediglich für herkömmliche Dienstleistungspflichten. Das Bundesverfassungsgericht versteht darunter nur wenige tradierte Dienste wie etwa Feuerwehr- oder Deichhilfe, nicht aber eine neu eingeführte Dienstpflicht. Sie müsste als zulässige Ausnahme neu in die Verfassung aufgenommen werden.

Möchten die Abgeordneten die Hürde der Grundgesetzänderung umgehen, könn­ten sie erwägen, das Gesellschaftsjahr so auszugestalten, dass keine Pflicht zu ei­ner „bestimmten Arbeit“ entsteht. Dies wä­re wohl gegeben, wäre ein solches Jahr be­reits während der Schulzeit abzuleisten. 2006 machte der Reformpädagoge Hartmut von Hentig einen Vorschlag, der in diese Richtung geht. Die aktuelle Herausforderung, wieder mehr jungen Menschen eine militärische Grundausbildung zuteilwerden zu lassen, ließe sich damit aber kaum bewältigen. Bereits jetzt wird der Dienst 17-Jähriger bei der Bundeswehr kritisiert. Minderjährige dürfen freilich nur mit Einverständnis der Eltern dort dienen.

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