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#Blind bei Corona-Mutanten im Abwasser

Blind bei Corona-Mutanten im Abwasser

In der Opposition wächst der Verdruss darüber, dass die Abwasseranalyse auf Coronaviren in Deutschland trotz einer dringenden Empfehlung der EU-Kommission nur schleppend vorankommt. FDP und Grüne wollen diese Methode als zusätzliches Instrument im Kampf gegen die Pandemie nutzen. Abwasseranalysen mit der PCR-Technik können einige Tage früher als Humantests einen Trend des Infektionsgeschehens sichtbar machen.

Die Ergebnisse sind unabhängig davon, wie viele Menschen sich testen lassen, und erlauben auch frühere Rückschlüsse auf die Verbreitung von Virusmutanten wie etwa der indischen Variante. In Deutschland wurde bereits viel an der Abwasseranalyse geforscht, doch der Sprung in die Praxis ist bislang nur einigen Kommunen gelungen. Die EU-Kommission sprach Mitte März eine „dringende Empfehlung“ aus, dass alle Mitgliedstaaten bis zum Oktober möglichst flächendeckend Abwasser testen sollten, zumindest in Städten mit mehr als 150.000 Einwohnern.

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Wieland Schinnenburg sagte der F.A.Z., die Corona-Pandemie müsse „mit allen zur Verfügung stehenden technischen Mitteln“ bekämpft werden. Der Bund solle die Messungen in den Kommunen koordinieren und finanzieren. „Leider hat die Bundesregierung dieses wichtige Projekt lange verzögert“, sagte Schinnenburg. „Ich habe nicht den Eindruck, dass die Regierung diese technische Möglichkeit ernsthaft in Erwägung zieht.“ Auch der Arzt und Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen (Grüne) setzt sich für eine rasche Anwendung ein. 

Aus Sicht von CDU-Gesundheitspolitikern nicht prioritär

„Jede zusätzliche, verlässliche Kennzahl verbessert ein zielgerichtetes Vorgehen im Kampf gegen die Pandemie. Aber die Bundesregierung verfolgt keinen systematischen, datenbasierten Ansatz.“ Sie habe alle Anregungen der Opposition zur Abwasseranalyse in nichtöffentlicher Sitzung „beiseite geredet“, so Dahmen. Ihn erinnere das an das Vorgehen bei der Sequenzierung des Virus, die in Deutschland erst spät angewendet wurde. „Auch da wurden Forderungen und Hinweise aus der Wissenschaft lange ignoriert“, sagt Dahmen.

In der Union sieht man die Sache hingegen nicht als dringlich an. Erwin Rüddel (CDU), Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Bundestag, sagt der F.A.Z.: „Grundsätzlich finde ich, dass alle Möglichkeiten, die Pandemie zu bekämpfen, genutzt werden sollten. Die Abwasseranalyse auf Coronaviren ist aus meiner Sicht aber nicht prioritär.“ Die Methode sei „noch mit einer gewissen Ungenauigkeit behaftet“. Auch schrumpfe der Zeitvorteil gegenüber Humantests, „je besser die Gesundheitsämter digitalisiert sind. Das ist meines Erachtens die deutlich wichtigere Aufgabe: dass jedes einzelne Gesundheitsamt nicht nur angeschlossen ist an Sormas, sondern es auch nutzt, ebenso wie andere digitale Lösungen wie beispielsweise die Luca-App.“ Für die SPD sagt der Umweltpolitiker Michael Thews, Fachleute hätten ihm versichert, dass Abwasseranalysen bereits möglich seien. „Da stellt sich schon die Frage: Wenn das geht, warum machen wir das nicht einfach?“

Forscher wünschen sich klares Signal der Bundesregierung

Wissenschaftler hoffen darauf, dass die Bundesregierung bald einen Startschuss gibt, um ein möglichst engmaschiges Messnetz aufzubauen. Die Zuständigkeiten liegen zwar vor allem auf kommunaler und Landesebene; dennoch erhofft man sich Rückenwind aus Berlin. Friedrich Hetzel von der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) sagt: „Es muss jetzt eine klare Ansage von den Gesundheitsbehörden kommen: Wir finden das sinnvoll, bitte macht es, wir unterstützen euch auch finanziell.“

Die Bundesregierung hat die Forschung gefördert, wurde dem Vernehmen nach aber von der Dringlichkeit der EU-Empfehlung überrascht. Ein nationaler Ansprechpartner wurde der Kommission verspätet benannt, ein Fortschrittsbericht verspät eingereicht. Kürzlich stieß die Regierung ein weiteres Pilotprojekt an, um die Abwassertestung in Modellgebieten weiter zu untersuchen. Ziel sei „eine mögliche weitere Etablierung des Abwassermonitorings im Bundesgebiet ab dem Jahr 2022“. Auf Anfrage verweist das Bundesgesundheitsministerium darauf, „dass die Untersuchungen und Forschungen in diesem Bereich noch nicht abgeschlossen sind“. So ließen sich etwa noch „keine absoluten Kennziffern“ aus den Daten ableiten. DWA-Experte Hetzel sieht verbliebene Forschungslücken nicht als Hindernis an: „Die größte Hürde in Deutschland ist der Eindruck, wir seien noch mitten in der Forschung. Das sind wir schon lange nicht mehr.“

„Corona wird uns unser Leben lang begleiten“

Die EU-Kommission habe zwar nur eine Empfehlung ausgesprochen, die sei aber überaus deutlich, sagt Hetzel. „Corona wird uns unser Leben lang begleiten, es werden immer neue Mutanten auftauchen. Im Abwasser könnten wir sie früh identifizieren.“ Frank Weber vom Forschungsinstitut für Wasser- und Abfallwirtschaft an der RWTH Aachen sagt: „Wir müssen dringend aus der Forschungsecke raus in die Praxis. Aber in der Politik war da von Anfang an die Handbremse drin.“

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Weitere Städte gehen unterdessen voran. Auch in Wiesbaden wird seit Anfang Mai nach Coronaviren im Abwasser gesucht. Das rot-grün regierte Hamburg bereitet eine Probenentnahme im Klärwerk Köhlbrandhöft vor, auch als „Vorbereitung auf zukünftige Pandemien“, wie es in einem Beschluss der Bürgerschaft heißt. Die rot-schwarze Landesregierung von Niedersachsen hingegen lehnte einen Antrag der Grünen-Fraktion Ende April ab. Sie sieht „derzeit keinen infektiologischen Zusatznutzen“, verweist auf „Unsicherheiten in der Aussagekraft“ der Zahlen und „unklare Kosten-Nutzen-Relationen“. Die Landeshauptstadt Hannover hat trotzdem damit begonnen, an verschiedenen Punkten im Kanalnetz zu messen. Seit langem schon analysiert wird Abwasser zum Beispiel in Augsburg, Karlsruhe oder im Landkreis Berchtesgaden.

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