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#Interview: IG-Metall-Chef zum Heizungsgesetz: Kommunikativ ein absolutes Desaster




Der Gewerkschafter Jörg Hofmann kritisiert: Die Bundesregierung hätte das Heizungsgesetz nicht im Hauruckverfahren, sondern mit einer breiten öffentlichen Debatte angehen müssen.

Herr Hofmann, haben Sie in Ihrem Haus schon eine neue Heizung eingebaut?

Jörg Hofmann: Ich bin froh, dass wir unser Haus vor zwei, drei Jahren renoviert und eine Gasheizung mit einer Solartherme eingebaut haben. Ich hoffe, dies genügt den Ansprüchen des neuen Gesetzes, was den Anteil regenerativer Energie betrifft. Ich kann die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger verstehen, die eine Heizung haben, die mit fossilen Brennstoffen betrieben wird. Viele Menschen haben reichlich Geld und Zeit in den Einbau einer neuen Heizung investiert und fragen sich jetzt, wie es weitergeht. 

Viele Menschen sind nach wie vor verunsichert, mache sogar wütend über das Heizungs-Hin-und-Her der Bundesregierung. 

Hofmann: Dabei können viele rational nachvollziehen, dass sich auch im Heizungsbereich einiges verändern muss, wenn wir bis 2045 klimaneutral werden wollen. Weil die Einsatzzeit einer Heizung im Schnitt 20 Jahre beträgt, müssen wir jetzt mit der Wärmewende anfangen. Das leuchtet ein. So weit der rationale Teil des Themas. Der andere Teil ist die Vermittlung der Wärmewende durch die Bundesregierung. 

Dieser Part lief gründlich schief.  

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Hofmann: Hier gibt es viel zu viele offene Fragen, was die Umsetzung betrifft. Und vor allem: Das Gesetz kam als regulativer Eingriff in die Eigentums- und Mieterrechte bei den Bürgern an und nicht als Angebot, gemeinsam einen Beitrag gegen den Klimawandel zu leisten. Und dann die vielen Folgefragen: Wo etwa sollen all die Handwerker herkommen, die etwa Wärmepumpen einbauen? Und wer einen Termin beim Energieberater ausmachen will, muss lange warten. Können sich wirklich alle trotz hoher Zuschüsse den Einbau einer neuen Heizung leisten? Manches ist zwischenzeitlich klarer, aber das alles sorgt für Verunsicherung und erhöhten Erklärungsbedarf. 

Doch die Ampelkoalition hat sich monatelang gefetzt, statt die Bürger mit einer Erklärungsoffensive mitzunehmen. 

Hofmann: Das schreckliche Gezeter in der Ampelkoalition sorgt zusätzlich für Verunsicherung. Das ist kommunikativ ein absolutes Desaster. Die Ampelkoalition hätte das Heizungsgesetz nicht im Hauruckverfahren, sondern mit viel mehr Vorlauf und einer breiten öffentlichen Debatte angehen müssen. 

Wenn die IG Metall so Tarifpolitik betreiben würde wie die Bundesregierung die Wärmewende, gäbe es wohl einen Aufstand in der Gewerkschaft. 

Hofmann: Gewerkschaftliche Arbeit setzt auf Beteiligung, auf offene Diskussion um den richtigen Weg, aber dann auch auf Einheit im solidarischen Miteinander, wenn es um die Durch- und Umsetzung geht. Auch wenn sich dies nicht direkt vergleichen lässt: Ohne Beteiligung der Betroffenen funktioniert keine Tarifpolitik und keine Politik. Wir müssen die Energie- und Mobilitätswende viel stärker aus dem Blickwinkel der Menschen und den Regionen, in denen sie leben, sehen und betreiben. 

Worauf spielen Sie an? 

Hofmann: Bisher haben auch im Augsburger Raum viele Dörfer ihre Fabrik. Solch ein Gewerbe war und ist die wirtschaftliche Basis für einen Sportplatz, eine Gemeindehalle und eine gut ausgestattete Schule. Und dafür nahm man in Kauf, dass es manchmal lärmt und der Durchgangsverkehr belästigt. In Zukunft muss aber klar sein: Das Gewerbe, die örtliche Industrie hat nur dann eine Zukunft, wenn im Umkreis auch drei Windräder stehen, rund um den Fußballplatz Photovoltaikanlagen aufgestellt werden und es ausreichend Ladesäulen für Elektroautos gibt. Wir müssen unser Leben in der Region verändern, wenn das Land klimaneutral werden soll. Es ist wichtig, dass die Menschen sich an dieser Veränderung beteiligen können. Und dies betrifft direkt die Industrie und die dort Beschäftigten. Denn regionale regenerative Energieerzeugung ermöglicht auch niedrige Industriestrompreise. 

Wie groß ist der durch das Heizungs-Hin-und-Her entstandene Vertrauensverlust der Bürger gegenüber der Politik?  

Hofmann: Dieser Vertrauensverlust lässt sich gerade an den Umfragen ablesen, die der AfD auf Bundesebene rund 20 Prozent der Wählerstimmen zurechnen. Das ist beängstigend. Auch CDU und CSU müssen sich anstrengen. Die Tonalität der Rechten zu kopieren, ist nur Wasser auf deren Mühlen. 

Was ist noch zu tun, um die AfD zu bremsen?

Hofmann: Die Politikerinnen und Politiker der Ampelkoalition sollten erst einmal kräftig durchatmen und sich überlegen, wie sie für die notwendigen Reformschritte die Bürgerinnen und Bürger besser mitnehmen können. Politik lässt sich, gerade weil große Veränderungen anstehen, nicht im Hauruckverfahren durchziehen. Ich hoffe, dass die derzeitigen Umfrageergebnisse für die AfD ein Weckruf für die demokratischen Parteien sind. 

Noch einmal: Mit welchen weiteren Mitteln lässt sich der Höhenflug der AfD stoppen? 

Hofmann: Man muss immer wieder deutlich machen, dass die AfD im Kern eine rechtsradikale Partei ist. Das wird gut verpackt in einem Versprechen des Bewahrens und des Zurücks – das ist die Tünche, die dem rechtsradikalen Kern der Partei einen seriösen Anstrich geben soll. Die Partei nutzt aus, dass viele Menschen Veränderungen skeptisch gegenüberstehen. Deswegen ist es so wichtig, dass die Politik die Bürgerinnen und Bürger bei Veränderungen mitnimmt. Allein mit Kritik an der AfD kommen wir nicht weiter. Die demokratischen Parteien müssen auch ihren Politikstil überdenken. 

Ist die AfD denn überhaupt für IG-Metall-Mitglieder wählbar? Oder muss die Partei für einen Gewerkschafter ein Tabu bleiben? 

Hofmann: Nach meinem Wertekanon, und so verstehe ich auch unsere Satzung, dürfte eine IG-Metallerin oder ein IG-Metaller die AfD nicht wählen. Es ist aber klar, dass unsere Mitgliedschaft ein Spiegelbild der Gesellschaft ist. Doch IG-Metall-Verantwortungsträger dürfen nicht AfD-Mitglied sein. Das geht nicht. 

Die AfD wettert gegen die Zuwanderung. Doch Deutschland braucht angesichts des immer dramatischeren Fachkräftemangels pro Jahr rund 400.000 Menschen, die zu uns kommen und hier arbeiten wollen. 

Hofmann: Wir brauchen Einwanderung, um dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken. Doch mit der gleichen Vehemenz sollten wir auch andere Themen angehen: So dürfen wir es nicht weiter hinnehmen, dass Jahr für Jahr Hunderttausende Jugendliche ohne Ausbildung auf den Arbeitsmarkt kommen. Und Jahr für Jahr brechen hunderttausend junge Menschen ihre Lehre oder ihr Studium ab. Und viele Jugendliche verlassen die Schule ohne einen Abschluss, der sie für eine Berufsausbildung qualifiziert. Diese Themen müssen wir anpacken, um mehr Menschen für das Berufsleben zu gewinnen. Das gilt auch für die Erhöhung der Erwerbsquote von Frauen. Einwanderung ist ein weiterer nächster Schritt. Nur wer den einen vor dem anderen macht, gerät ins Stolpern. 

Und wie gewinnen wir mehr Frauen für das Arbeitsleben? 

Hofmann: Deutschland ist mittlerweile das Land mit einer der höchsten Teilzeitquoten in Europa. Die meisten dieser Teilzeit-Beschäftigten sind überwiegend gut ausgebildete Frauen. Wenn wir durch neue Arbeitszeitmodelle die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, könnten wir viel mehr Frauen für Vollzeitstellen gewinnen. Und hier bietet sich etwa unser Modell der reduzierten Vollzeit an, also etwa viermal acht Stunden die Woche. 

Also die Viertagewoche. Arbeitgeber-Chef Rainer Dulger glaubt aber, dass die von der IG Metall schon für die Stahlindustrie geforderte Viertagewoche mit vollem Lohnausgleich Deutschland in die Knie zwingen würde.

Hofmann: Ja, jeder gesellschaftliche Fortschritt muss sich gegen kurzfristiges Denken der Arbeitgeber durchsetzen. Dafür gibt es die Tarifautonomie. Dort muss auch die Frage des Lohnausgleichs geklärt werden. Fest steht auf alle Fälle: Beschäftigte, die nur vier Tage die Woche arbeiten, sind produktiver. Und dadurch lassen sich auch besser Familie und Beruf vereinbaren. Es gibt auch andere Modelle selbstbestimmter Arbeitszeiten – die Viertagewoche ist ein Vorschlag für Arbeitszeiten, die zum Leben passen. Zudem ist die Viertagewoche ein Mittel für Industrieunternehmen, die schwer Fachkräfte bekommen, noch ausreichend Personal zu finden. Ich verstehe das Nein der Arbeitgeber nicht. 

Auf dem Gewerkschaftstag im Oktober treten Sie nach acht Jahren an der Spitze der IG Metall mit 67 Jahren ab. Was haben Sie dann vor? 

Hofmann (lacht): Ich hoffe, dass dann schönes Wetter wie heute ist und ich im Garten arbeiten kann. Im Moment mache ich mir keine großen Gedanken, auch wenn es das ein oder andere Angebot gibt. Zunächst einmal entscheide ich mich für gar nichts. Ich werde jedenfalls keine Langweile haben.

Jörg Hofmann, 67, ist seit Oktober 2015 Erster Vorsitzender der IG Metall. Der Diplom-Ökonom verantwortet die grundsätzliche Ausrichtung der Gewerkschaft und die Tarifpolitik. 

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