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#Interview: Meltem Kaptan: „Ich finde toll, was mir total fremd ist“

„Interview: Meltem Kaptan: „Ich finde toll, was mir total fremd ist““



Als TV-Komikerin bekannt, jetzt als Mutter eines Guantanamo-Häftlings in „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ im Kino: Meltem Kaptan spricht über die Berlinale und ihre Kindheit im Hasewinkel.

Frau Kaptan, Sie sind mehr für Comedy- und Backshows bekannt. Wie kam es zu diesem Film mit einem relativ harten Thema?

Meltem Kaptan: Das Ganze lief über die Casterin Karen Wendland. Sie hat mir das Drehbuch geschickt und ich habe direkt gesehen: „Ah, es handelt sich um einen Dresen-Film.“ Für mich war klar, dass da auf jeden Fall Qualität und viel Arbeit dahinterstehen. Ich kannte seine Filme, fand sie großartig und habe dann gesagt: „Ja, spannend. Guckst du dir jetzt mal an.“ Ich habe angefangen, das Drehbuch zu lesen und sofort gemerkt: „Okay, alles stehen und liegen lassen!“ Klar, ich hätte auch sagen können: „Ah, guck mal. Ich habe einen türkischen Hintergrund und dann wird mir die Rolle einer Frau mit türkischem Background angeboten.“ Ich habe aber schnell gemerkt, dass es darum gar nicht geht. Rabiye ist vor allen Dingen eine Mutter, die in dieser ganzen Zeit eine Urkraft entwickelt hat, bei der ich das Gefühl hatte: „Das ist ja ein Steh-auf-Weibchen.“ Ich fand es superspannend, herauszufinden, was das für eine Kraftquelle ist, die diese Frau antreibt, sodass sie ihren Alltag weiterhin meistern kann.

Wir sprechen hier über einen Zeitraum von fünf Jahren.

Kaptan: Genau! Wie schafft es diese Frau, das Ganze so lang zu überleben? Egal, was du machst, du weißt, dass dein Kind in dem Moment gerade gefoltert wird und es in dieser Sekunde auch sterben könnte. Was ist es, das dazu führt, dass Rabiye nicht ohnmächtig wird, sondern nach vorne geht? Für mich wurde das ganz klar, als ich sie kennengelernt habe. Sie hat diesen Humor und diese Fähigkeit, sich auch in den schwersten Momenten Leichtigkeit zu verschaffen, um zu überleben und auch um den Mitmenschen drum herum dieses Positive zu vermitteln oder abzugewinnen. Das hat sie heute noch. Diese Frau trägt keinen Groll in sich. Auf der anderen Seite ist sie beseelt von dieser unfassbaren Kraft der Mütterlichkeit, sie entscheidet sich komplett dafür, Mutter zu sein, und nimmt das mit Haut und Haaren an. Ich glaube, für sich selbst wäre sie diesen Weg nicht gegangen, aber für ihr Kind geht sie bis ans Ende der Welt.

Haben Sie es als eine besondere Verantwortung empfunden, eine Person des wahren Lebens zu verkörpern?

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Kaptan: Das ist wirklich eine spezielle Sache. Ich habe einen Druck empfunden und war so erleichtert und dankbar, als Rabiye die Rolle abgenommen hat. Ich habe sie als eine Hommage an Bernhard Docke und Rabiye Kurnaz für ihre Lebensleistung empfunden. Es wäre schlimm, wenn wir das Gefühl gehabt hätten, dass die beiden sich damit nicht wohl fühlen und sich nicht damit identifizieren können. Aber nach dem Film ist Rabiye Kurnaz zu mir gekommen und hat gesagt, sie hätte die ganze Zeit das Gefühl gehabt, dass sie selbst diesen Film gespielt hätte. Sie musste sich immer wieder rütteln und sagen: „Hey, das bist du nicht, das ist Meltem Kaptan, die dich gerade spielt.“ Die Kinder haben mir gesagt, dass sie weinen mussten, weil sie ihre Mutter gesehen haben. Das hat mich in dem Moment sehr, sehr ergriffen.

Meltem Kaptan mit dem Silbernen Bären bei der Berlinale 2022.

Foto: Ronny Hartmann, dpa/afp Pool

Wie haben Sie sich der Rolle genähert?

Kaptan: Ich hatte am Anfang nur Schnipsel von ihr. Von Interviews, zum Beispiel bei „Beckmann“. Das habe ich mir immer wieder angehört und erst mal versucht, den Zugang über die Stimme zu finden. Wie spricht sie? Wie ist ihr Dialekt? Wie sind ihr Rhythmus und ihr Tempus? Anschließend habe ich ihre Körpersprache studiert und dann habe ich einen ganzen Tag mit ihr verbracht. Sie hat mich in ihrem Wagen durch Bremen gefahren. Ich sag mal so: Sie ist gebrettert, und ich habe versucht zu überleben. Gleichzeitig dachte ich: „Um Gottes willen, du musst ja diese ganzen Fahrszenen spielen!“ Ich habe einen Führerschein, aber ich bin 15 Jahre kein Auto mehr gefahren. Ich hatte direkt Horrorvisionen, wie ich alles zu Schrott fahre und die Produktionsfirma sehr, sehr viel an Schadenersatz bezahlen muss. Später haben wir noch telefoniert. Ich habe die Augen zugemacht und ihre Stimme verinnerlicht. Ich habe ständig versucht, sie immer wieder zu spielen – auch im Alltag – und sie zu fühlen. Irgendwann hat es Klick gemacht und ich hatte das Gefühl: „So, jetzt hab’ ich sie!“

Wie viel von Rabiye steckt in Ihnen?

Kaptan: Sie ist eine ganz andere Person als ich. Das muss man wirklich sagen. Sie hat eine ganz andere Art und Weise. Ich muss dazu sagen, dass ich selbst keine Mutter bin. Ich habe einen Hund. Sie hat eine andere Art und Weise, wie sie spricht, wie sie sich bewegt. Was uns verbindet, ist tatsächlich die Bedeutung von Humor in unserem Leben. Mir hat Humor auch immer über schwierige Zeiten geholfen. Ich versuche auch immer, das Positive in einem Menschen zu sehen, auch wenn er dich enttäuscht, und etwas Positives aus der Situation zu ziehen. Ich sehe das Glas halb voll und nicht halb leer. Diese Einstellung und diesen Humor als ein Überlebensinstrument in schwierigen Zeiten haben wir wirklich gemeinsam.

Ohne ihr oft naives Herangehen an die Dinge hätte Rabiye wahrscheinlich nichts erreicht. Stehen wir uns mit rationalem Denken zu oft selbst im Weg?

Kaptan: Wenn beides zusammenkommt, die rationale Stärke eines Bernhard Docke mit seinem Fachwissen und diese unfassbare, emotionale Intelligenz, die Rabiye Kurnaz hat, bei der Bauch und Kopf zusammenkommen, dann ist das die perfekte Mischung, die auch zum Ziel führt. Deshalb glaube ich, dass dieses Verhältnis zwischen Bernhard Docke und Rabiye Kurnaz genau das ist: Herz und Kopf. Genau das braucht man.

Sie haben sich verschiedenen Künsten gewidmet, auch Malerei studiert. Wie kommt es, dass Sie so kunstaffin sind?

Kaptan: Ich bin in Hasewinkel aufgewachsen. Das ist ein ostwestfälisches Dörfchen, wo es nichts gab. Da gab es Hasen, Füchse und Mähdrescher. Wir hatten kein Kino und noch nicht mal eine Bahnhaltestelle, um mal rausfahren zu können. Es war eine Kindheit, die ich mir selbst bunt gestalten musste. Meine Schwester ist auch Künstlerin und wir waren schon immer künstlerisch interessiert. Ich habe sehr viel gemalt, sehr viele Filme geguckt und Schultheater gespielt. Diese Geschichten haben mir das Gefühl gegeben, lebendig zu sein. Ich war immer unfassbar glücklich, wenn mal ein Theater von außerhalb nach Hasewinkel kam. Das passierte alle drei Monate. Das waren für mich Highlights und schöne Momente, deshalb habe ich diese Schiene vielleicht stärker ausgelebt und nachempfunden. Meine Mama sagt immer, dass ich als kleines Kind Filme geschaut und gesagt habe: „Guck mal, Mama. Der glaube ich und der glaube ich nicht.“ Ich war vier und habe mich damit auseinandergesetzt, ob ich dem Schauspiel geglaubt habe oder nicht. Da gab es immer eine ganz klare Tendenz, spielen und künstlerisch arbeiten zu wollen.

Werden Sie nach Ihrem Berlinale-Sieg mit Drehbüchern überhäuft?

Kaptan: Ich kriege tatsächlich gerade sehr viele Drehbücher und spannende Geschichten. Jetzt ist wirklich die Frage, wie ich mich entscheide. Es ist spannend, dass es ganz unterschiedliche Rollenangebote sind. Wirklich ganz, ganz bunt gemischt. Es gibt welche mit türkischem Background, es gibt aber auch ganz andere. Da ist alles dabei, auch an Richtungen. Ich muss jetzt schauen, wo der Bauch Ja sagt und wo ich wirklich Spielfreude empfinde, damit ich das auch authentisch rüberbringe.

Rabiye sagt am Ende, sie sei noch nie verliebt gewesen. Sind auch Vernunftehen manchmal legitim?
Kaptan: Das ist immer so eine Sache der Entscheidung und hängt davon ab, in welcher Lebensphase man gerade steckt. In diesem Fall merkt man einfach, dass sich Rabiye an erster Stelle als Mutter sieht und sich mit dieser Rolle mit Haut und Haaren identifiziert hat. Das steht an erster Stelle. Deswegen ist es schön zu sehen, dass sie jemand ist, der sagt: „Ich habe ein Kind auf die Welt gesetzt, also übernehme ich auch die Verantwortung und gehe, wenn es sein muss, bis ans Ende der Welt.“ Das zeichnet sie einfach aus. Ich habe selber Freundinnen, die einen Mann haben und bei denen ich das Gefühl habe, dass der dazu da ist, um Papa zu sein, damit sie auch Mama sein konnte. Das ist jedem selbst überlassen. Es gibt natürlich Menschen, die einfach in ihrer Mutterrolle aufgehen. So wie Rabiye.

Gibt es eine Rolle, die Sie unbedingt mal spielen wollen?

Kaptan: Ich finde alles toll, was mir total fremd ist. Meine Steuerberaterin, die ihren Beruf wirklich liebt, ist oft wie ein Alien für mich. Ich verstehe mich sehr gut mit ihr und habe ihr gesagt: „Wieso liebst du das? Was ist denn bloß los mit dir?“ Stellen Sie sich mal vor, ich würde eine deutsche Steuerfachangestellte mit dunklem Geheimnis darstellen. Wäre das nicht toll? (lacht)

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