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#Kurz vor den 100 Prozent

Kurz vor den 100 Prozent

In Österreich hat die christlich-demokratische Volkspartei Bundeskanzler Sebastian Kurz mit praktisch geschlossener Mehrheit als Vorsitzenden bestätigt. Im niederösterreichischen St. Pölten erhielt Kurz auf einem Parteitag am Samstag 99,4 Prozent der Delegiertenstimmen. Es war das erste Mal, dass Kurz sich einer Wiederwahl stellen musste, seit er 2017 die Parteiführung übernommen hatte. Damals hatte er bereits 98,7 Prozent der anwesenden Delegierten überzeugt.

Seither gab es aber vorgezogene Nationalratswahl, aus der die ÖVP erstmals seit 2002 als stärkste Kraft hervorging, eine Mitte-Rechts-Koalition mit der FPÖ, die an der Ibiza-Affäre zerbrochen ist und abermals ein ÖVP-Wahlsieg, nach dem die Grünen die FPÖ als Koalitionspartner ersetzten. Hinzu kamen die Pandemie mit drei Lockdowns sowie staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen mehrere FPÖ- und ÖVP-Vertreter – darunter auch Kurz selbst – wegen des Verdachts der Falschaussage im Untersuchungsausschuss. Angesichts zahlreicher Rücktrittsforderungen und Spekulationen um eine Neuwahl bedeutet das Parteitagsergebnis gleichsam, dass die ÖVP eine Wagenburg um ihren Vorsitzenden baut.

Kurz dachte zwischenzeitlich an Rücktritt

Kurz, der den Vorwurf einer absichtliche Falschaussage stets bestritten hat, ging in seiner Rede darauf ein, indem er die vergangenen Monate als auch für ihn persönlich „herausfordernd“ beschrieb. Die Angriffe der politischen Gegner würden persönlicher und härter und würden „neuerdings“ mit „ständigen Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft“ geführt. Kurz deutete an, dass er nach Aufnahme der Ermittlungen gegen ihn mit Rücktrittsgedanken gespielt habe: Er habe sich gefragt, ob „ich da wirklich richtig bin“ und ob er das seiner Familie weiter zumuten könne. Der Rückhalt in den eigenen Reihen habe ihn zum Weitermachen bewogen, im Nachhinein (die Ermittlungen laufen freilich noch) habe ihn die Belastung „stärker und vor allem noch entschlossener gemacht“.

Auch in den Beiträgen anderer Redner und in Filmeinspielungen wurden die Auswirkungen und Begleiterscheinungen der Ibiza-Affäre, die sich, vor allem im U-Ausschuss, zunehmend auch gegen ÖVP-Personal richteten, als politisch durch die Opposition motiviert dargestellt. Das verbindende Motiv der „vereinigten Opposition“ sei: „Kurz muss weg“, hieß es mehrfach. Die sozialdemokratische SPÖ betrachte das Bundeskanzleramt als ihren „Erbhof“. Kurz rekurrierte auf den früheren ÖVP-Chef und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, den er gefragt habe, ob „das“ denn nie aufhöre. Schüssel habe trocken angemerkt: „Doch. Wenn die VP nicht mehr an erster Stelle ist, dann wird das besser.“ Es fiel aber auf, dass – anders als in manchen früheren Wortmeldungen – Vorwürfe der Voreingenommenheit gegen Medien oder Teile der Justiz ausblieben.

Ansonsten verzichtete Kurz auf Angriffe auf politische Gegner. Auch inhaltlich blieb er ohne überraschende Ankündigungen. Zur  Bekämpfung der Pandemie sagte er: „Impfung ist die Antwort, nicht der Lockdown.“ Die Skeptiker sollten aufgeklärt und überzeugt, aber nicht abgetan werden. Als Grundwerte betonte er die Freiheit als „höchstes Gut der Demokratie“, die Eigenverantwortung, und dass das Erarbeiten vor dem Verteilen komme.

Gegen die „Autofeindlichkeit“ des Koalitionspartners

Programmatisch kündigte Kurz an, trotz Pandemie die begonnene steuerliche Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen fortzusetzen. Bei der Ökologisierung dürfe Klimaschutz nicht gegen den Wirtschaftsstandort und die soziale Sicherheit ausgespielt werden. Das kann als zurückhaltender Fingerzeig an den grünen Koalitionspartner aufgefasst werden, zumal ein (auf dem Parteitag nicht weiter diskutierter) Leitantrag gegen „Autofeindlichkeit“ Stellung bezog. Kurz sagte: „Was es braucht sind Fortschritt und Innovation und nicht Rückschritt und Verbote.“

Als größte Zukunftsherausforderung stellte Kurz die Digitalisierung dar, bei der es gelte, sich an die Spitze zu stellen. Europa hinke in dieser Hinsicht Amerika und auch China hinterher. Infrastruktur, Forschung und Verwaltung sollten in dieser Hinsicht digital ausgebaut werden. Schüler sollten von diesem Herbst an mit Tablets oder Laptops ausgestattet werden. Das sei „die größte Schulreform seit der Einführung des Gratis-Schulbuchs“, sagte Kurz in Anspielung an Bildungsreformen der 1970er Jahre. Schon öfter hat Kurz den damaligen sozialdemokratischen Kanzler Bruno Kreisky als eines seiner Vorbilder bezeichnet.

Das auch in der „türkis-grünen“ Koalition heftig umstrittene Thema der Migration, konkret der Aufnahme afghanischer Flüchtlinge schnitt Kurz nur kurz an. Er sehe es als Österreichs „christlich-soziale Verantwortung“ an, „vor Ort zu helfen“. Unter seiner Verantwortung sei die Entwicklungshilfe verzehnfacht worden. Aber auch bei der Aufnahme von Flüchtlingen habe Österreich einen „unglaublichen“ Beitrag geleistet. In Österreich gebe es bereits die „viertgrößte afghanische Community“ mit mehr als 40.000 Menschen. Man dürfe nicht „mehr Menschen aufnehmen, als wir integrieren können“.

Die scharf entgegengesetzte Position der Grünen hatte noch kurz vor dem Parteitag die Tiroler Grünen-Vorsitzende Ingrid Felipe abermals bekräftigt. Sie hoffe auf ein Signal gegen den „menschenverachtenden Kurs der türkisen Spitze“ in der Afghanistan-Frage, nämlich ein „nicht ganz so tolles Votum für Kurz am Bundesparteitag“. Die ÖVP-Delegierten in St. Pölten sahen das offensichtlich anders.

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