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Mein Avatar und ich

Gewissheit des individuellen Seins, so hat es Descartes gesehen, gibt nur der Zweifel an der Gewissheit oder das, was der französische Philosoph „Denken“ nennt. Ich denke, also bin ich – es ist das Ich, das hier denkt, keine Simulation. Das Ich, das am Denken zweifelt sowie am eigenen Sein und genau darum ist. Später sah sich die Philosophie des „linguistic turn“, die Postmoderne ohnehin, kopfschüttelnd nach Descartes um, aber erst mit dem gegenwärtigen Stand der Entwicklung „Künstlicher Intelligenz“ wird das „cogito ergo sum“ wirklich in Frage gestellt. Was sagt mein Avatar von mir? Findet er sich echter als mich? In der „Near Future“-Science-Fiction hat die Täuschung ihren festen Platz. Die „Matrix“-Filme setzten ästhetische Wegmarken. Alexa, das Smart Home, die erweiterten Schnittstellen von Person und Technik, die „Auslesbarkeit“ der Person, selbstlernende Programme, Spiele mit der Virtualität der Fiktion: Inzwischen sind solche Themen im Fernsehen angekommen, zumal bei des Deutschen liebstem Krimikind, dem „Tatort“.

Sowohl der Bremer „Tatort: Echolot“ als auch der Berliner „Tatort: „Meta“ oder der HR-Tukur-„Tatort: Es lebe der Tod“ variieren, je auf eigene Weise, KI, Virtualität, Echtheit und Simulation. Der Münchner „Tatort: „Die Wahrheit“ spielt mit der Nicht-Feststellbarkeit der Gewissheit – obwohl er auf einem wahren Fall beruht. „Meta“, „Es lebe der Tod“ und auch „Die Wahrheit“ entstanden in der Zusammenarbeit des Autors Erol Yesilkaya und des Regisseurs Sebastian Marka. In ihrer Gestaltung weisen ihre Filme über das Dargestellte hinaus. Mal verspielter, mal prinzipieller, erweitern Yesilkaya und Marka seit Jahren den Horizont des Fernsehfilms.

Auch „Exit“, der neue Film des Duos, ist eine Science-Fiction-Utopie, deren Erfindung in der Gegenwart fest verankert ist. Ihre Vorstellungen des zukünftigen Weltmarktes für existenzverändernde Hard- und Software ist nicht aus der Luft gegriffen: Der chinesische Unternehmer Linden Li (David K.S. Tse), der in „Exit“ den Markt für holographische Darstellungen beherrscht und zum „Monopol auf die Realität“ nur noch die Entwicklung der kleinen IT-Butze „Infinytalk“ braucht, könnte ein „Near Future“-Zwilling von Facebook oder Amazon sein. Die vier Entwickler und Vermarkter von „Infinytalk“ sehen freilich nur das große Geld, das bei der Fusion beider Unternehmen für jeden herausspringt – bis auf Luca (Laura de Boer), die den Deal verhindern will und plötzlich spurlos aus dem Tokioter Luxushotel verschwindet, in dem die Vertragsunterzeichnung geplant ist.

Wir schreiben das Jahr 2047. Mit „Infinytalk“ kann nun jeder nach seinem Tod in den Himmel kommen, besser gesagt, in die „Cloud“. Wer will, lässt eine digitale Kopie auch der Empfindungen, Gefühle und Erinnerungen speichern. Verstorbene, geliebte Menschen, kann man hier als unsterbliche Stimme jederzeit treffen. Mit Linden Lis Holographieverfahren kommt die dreidimensionale Erscheinung der Person hinzu. Es entsteht die selbstlernende Kopie der Person, der Avatar mit Selbstbewusstsein. Während Quellcodeschreiber Bahl (Aram Tafreshian) und Marketingmann Malik (Jan Krauter) nicht schnell genug unterzeichnen können, zögert Firmengründer Linus (Friedrich Mücke), als Luca verschwindet. Die Zweifel, die seine frühere Verlobte gesät hat, lassen ihn ein Komplott wittern. Mit Lis Monopol wäre die Gewissheit der Echtheit des Seins dahingestellt. Immerhin hat Luca auf einem Unterscheidungsmerkmal bestanden: Das Blut der virtuellen Personenkopie ist schwarz, nicht rot. Und Linus bestand auf einem Exit, falls die Cloud abstürzen sollte – eine gespiegelte Cloud, eine weitere Parallelwelt.

„Exit“ ist für einen Fernsehfilm im Hauptabendprogramm ziemlich gedankenbetont, findet neben einem Neo-Art-déco-Look und „Blade Runner“-Anleihen auch einige, zum Teil witzige, sinnliche Anleihen im Analogen. Als Bahl und Linus im digitalen Konferenzraum, den man mittels Holographie-Kontaktlinse betritt, Lucas E-Mails durchsuchen wollen, stehen sie vor Briefkästen von anno dunnemals. Das Hackerprogramm spielt eine Brechstange. Es entwickelt sich eine Thrillerhatz, bei der Realität und Simulation die Hauptrolle spielen. Neben einer Liebesgeschichte, die einen Begriff romantischer Unabschließbarkeit zugrunde legt.

Die Vorlage dieses Films, bei dem sich das Dranbleiben bis zur letzten Wendung lohnt, ist die Erzählung „Nachspiel“ von Simon Urban. Sie entstammt einer Suhrkamp-Anthologie, „2009 – Geschichten von Morgen“, die auf Anregung der Fernsehfilmredaktionen von SWR und NDR entstand. Dass für die visuellen Effekte von „Exit“ die Firma „Lugundtrug“ verantwortlich zeichnet, verleiht der Fiktion aus der nahen Zukunft die letzte Pointe.

Exit läuft heute um 20.15 Uhr im Ersten.

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