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#„Nummer eins sind die privaten Haushalte“

„Nummer eins sind die privaten Haushalte“

Herr Becker, Deutschland ist im Dauer-Lockdown, trotzdem steigt die Zahl der Corona-Infektionen stark. Wo infizieren sich die Menschen?

Julian Staib

Julian Staib

Politischer Korrespondent für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland mit Sitz in Wiesbaden.

Das Infektionsgeschehen ist mittlerweile leider sehr diffus. Bei drei von vier Fällen kann man nicht genau nachvollziehen, wo sich eine Person angesteckt hat. Größere Ausbrüche mit mehr als fünf bis zehn Infektionsfällen tragen nur noch relativ wenig zum Infektionsgeschehen insgesamt bei. Im Saarland sind es nach den offiziellen Meldedaten aktuell etwa zehn Prozent. Die restlichen 90 Prozent sind Einzelinfektionen, bei denen kein epidemiologischer Zusammenhang zu anderen Fällen gefunden wird. Das macht eine gezielte Intervention, um einen derartigen Dauerlockdown zu verhindern, so schwierig.

War das im vergangenen Jahr anders?

Im vergangenen Jahr prägten große Ausbrüche das Bild. Zum Beispiel jene in der Fleischfabrikation. Die Fabriken kann man schließen und das Infektionsgeschehen damit deutlich reduzieren. Das geht leider bei einem diffusen Infektionsgeschehen nicht mehr so einfach. Geändert hat sich auch, dass nicht mehr die Infektionen in den Alten- und Pflegeeinrichtungen das Geschehen prägen. Das ist zum Glück aufgrund der Impfungen weitestgehend vorbei.

Und woher kommen die vielen Infektionen dann?

Das ist meist unklar und das macht es so schwierig, auch für die Politik. Es lässt sich nicht auf einzelne Lebensbereiche begrenzen. Das Virus lauert an so vielen Stellen. Die Infektionsketten lassen sich in den meisten Fällen nicht mehr gut nachvollziehen. Viele Infektionen gibt es in privaten Haushalten, also innerhalb der Familie, aber auch am Arbeitsplatz, in Kitas und Schulen.

Mikrobiologe Sören Becker


Mikrobiologe Sören Becker
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Bild: Privat

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow sagte kürzlich, jeder dritte Schüler, der in seinem Land in Städten mit sehr hoher Inzidenz getestet werde, sei positiv. Eine unglaubliche Zahl.

Derlei ist im Saarland nicht zu sehen. Hier hatten wir bisher nur ganz vereinzelt Ausbrüche in Schulen. Und wir testen in dem Bereich sehr viel. Aber das kann sich schnell ändern, da nun viele Schulen wieder in einen Regelbetrieb gehen. Die Nummer eins bei den Infektionsausbruchgeschehen sind nach den Meldedaten die privaten Haushalte. Der Bereich macht im Moment im Saarland mehr aus als Kita, Schule und Arbeitsplatz zusammen.

Im Saarland ist die Inzidenz derzeit trotz der Nähe zum Department Moselle, wo es viele Coronavirus-Mutationen gibt, vergleichsweise gering. Macht das Virus doch an der Grenze halt?

Wir haben aufgrund der Grenznähe eine Sondersituation. Im Saarland gibt es durchaus einen relativ hohen Anteil der sogenannten südafrikanischen Variante. Er liegt deutlich über jenem anderer Bundesländer. Ob das aber einzig und allein aufgrund der Nähe zum Department Moselle so ist, kann niemand valide beantworten. In der Moselle betrug der Anteil der Variante bis zu 40 Prozent aller Infektionsfälle, im Saarland mittlerweile etwa 18 Prozent. Zuletzt stieg der Anteil aber nicht mehr deutlich – im Gegensatz zur sogenannten britische Variante. Die stellt mittlerweile 50 bis 60 Prozent aller Fälle.

Grenzpendler müssen sich nun regelmäßig testen lassen, doch unter ihnen gab es bisher nur sehr wenige positive Fälle. An der zentralen Teststation im Saarland waren es nur 45 von 22.000. Kann man sich den Aufwand sparen?

An den Zahlen ist zu sehen, dass offenbar im Moment kein ausgeprägter Vireneintrag stattfindet. Eventuell gab es ihn aber bereits in der Vergangenheit. Derzeit scheint die Lage gut unter Kontrolle zu sein, aber das Testen ist ein wichtiges Instrument, um Veränderungen rasch zu erkennen und dann – wenn erforderlich – gegensteuern zu können.

Derzeit werden allerorten Testzentren aus dem Boden gestampft. Bisher aber werden sie nur zurückhaltend angenommen. Wäre es nicht sinnvoller, die Tests bundesweit mit Öffnungen etwa der Gastronomie zu verbinden, um mehr zu testen?

Das geschieht doch jetzt, wenn auch vorerst modellhaft. Ich wäre vorsichtig, das direkt im großen Stil umzusetzen, denn das Problem liegt im Detail. So ist zum Beispiel der Einzelhandel vermutlich kein Treiber der Pandemie. In den Geschäften können die Hygienekonzepte gut umgesetzt werden. Entscheidend ist aber, was vor dem Geschäft geschieht. Wird da auch das Hygienekonzept erfüllt? Eventuell ist es sinnvoller, eine Art Tagesticket für negativ Getestete zu vergeben, um in die Innenstadt zu kommen.

Was halten Sie von den nun im Saarland angekündigten Öffnungen, sind die angesichts des bundesweiten Pandemiegeschehens vertretbar?

In meinen Augen ist es prinzipiell ein pragmatisches Vorgehen, Strategien zu entwickeln, wie Öffnungen möglichst risikoarm gestaltet werden können – da ist der jetzt vom Saarland angekündigte Weg sicherlich sinnvoll. Ob die angekündigten Konzepte nach Ostern wirklich umgesetzt werden können, wird ja davon abhängen, ob die 7-Tage-Inzidenz im Saarland nicht auf 100 oder höher steigt, das hat die Landesregierung eindeutig als Voraussetzung genannt. Generell halte ich es aber für einen wichtigen Schritt, den Bürgern eine neue Perspektive zu ermöglichen und zugleich damit eine Motivation für jeden einzelnen zu schaffen, eine aktivere Rolle in der Pandemie-Eindämmung einzunehmen.

Schon Mitte 2020 hieß es, es müsse deutlich breiter getestet werden, um einen Weg aus der Pandemie zu finden. Warum ist das nicht erfolgt?

Damals waren gerade die Antigen-Schnelltests noch nicht in großer Anzahl verfügbar und viele Tests waren bezüglich der Testqualität noch nicht so zuverlässig wie heute. Im Sommer aber hätte man das Thema konsequenter verfolgen und Teststrategien auch für das öffentliche Leben entwickeln müssen. Da hätte man manches rascher angehen müssen. Aber da wir bis dahin so glimpflich davongekommen waren, wurde die weiterhin bestehende Bedrohung durch die Pandemie wahrscheinlich zu sehr unterschätzt.

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