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#Partisanin im Schlagerhimmel

Partisanin im Schlagerhimmel

Milva probte gerade in Mailand mit dem Piccolo Teatro für die „Dreigroschenoper“, als sie einen Fuß falsch aufsetzte und in den Orchestergraben fiel. Sie erlangte ihr Bewusstsein erst in der Poliklinik in der Via Sforza wieder, das rote Haar dramatisch ausgebreitet auf der weißen Trage, mit der man sie in die Notaufnahme geschoben hatte. Die Diagnose: schwere Gehirnerschütterung. Ein ins Krankenhaus geeilter Reporter wollte die Unglücksnachricht gerade in die Welt tragen, als ihm Nina Vinchi, die Direktorin des Piccolo, den Hörer aus der Hand riss und selbst hineinsprach: Milva stehe in ein paar Tagen wieder auf der Bühne, teilte sie der Zeitung mit. Und genau so, wie es an jenem Tag Mitte der siebziger Jahre prophezeit wurde, kam es auch.

Karen Krüger

Wer mit Milva arbeitete, sie kannte, wunderte sich nicht darüber. Denn man wusste: für die Bühne gab Milva alles. Da war sie stur, streng mit sich selbst und anderen; leidenschaftlich und bei ihren Auftritten von einer Stärke und einem Charisma, die sprachlos machten und viele Generationen von Zuhörern tief berührten.

Sie wollte ihrem Vater einen Wagen kaufen

Milva hieß mit bürgerlichen Namen Maria Ilva Biolcati und wurde 1939 mit dem Geschenk einer wunderbaren Stimme in Goro, einem Dorf im Po-Delta, geboren. Zweiundzwanzig Jahre später trat sie beim Gesangswettbewerb in San Remo an. Sie sang „Il mare nel cassetto“, in einem von ihrer Mutter genähten Kleid, mit rebellischen roten Haaren, und wurde über Nacht zum Star. Auf die Frage über ihre Karriereziele hatte sie zuvor geantwortet, sie wäre gern in der Lage, ihrem Vater, einem Fischhändler, einen neuen Lieferwagen zu kaufen.

Damals sang sie Partisanenlieder: Milva in den sechziger Jahren


Damals sang sie Partisanenlieder: Milva in den sechziger Jahren
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Bild: AP

In Italien ist es die Zeit der harten Arbeit, aber auch des Wirtschaftsbooms und des Dolce Vita. Milva fängt den Geist des Landes in ihren Liedern ein: seine Widersprüche und seine Energie, seine Träume und seine Sehnsucht nach Wandel. Neben den Sängerinnen Mina, genannt „der Tiger von Cremona“ und Iva Zanicchi, „der Adler von Ligonchio“, wird sie die dritte Stimme in der Triade der neuen italienischen Göttinnen. Man nennt sie „la pantera di Goro“ – „der Panther von Goro“, so elegant und geschmeidig bewegt sie sich auf der Bühne. Dabei strahlt sie eine exotisch wirkende Sinnlichkeit aus, die vollkommen neu im italienischen Showbusiness ist. „Milva la rossa“, „die rote Milva“, wird sie wegen ihres politischen Engagements und ihrer Haarfarbe gerufen, die auch zum Titel eines berühmten Liedes wird, das Enzo Jannacci für sie schreibt.

Willensstärker und wandlungsfähiger als ihre beiden Kolleginnen, trat Milva auch als Bühnen- und Filmschauspielerin auf. Sie versuchte zu zeigen, dass Kunst und Pop ein und dasselbe sein können und dass Unterhaltung, sofern sie intelligent und leidenschaftlich gemacht wird, wunderbare Höhen erreichen kann. Anfangs widmete sie sich der Popmusik, wurde dann zu einer Brecht-Interpretin par excellence und einer unvergesslichen Seeräuber-Jenny. Ihr Werk erzählt von den Höhen und Leiden eines ganzen Jahrhunderts. Sie tourte durch die Welt, war oft Gast im ausländischen Fernsehen, sang in kleinen Nachbarschaftstheatern genauso wie in der Scala und im Madison Square Garden in New York.

Der Musiker und die Interpretin: Milva mit Astor Piazzolla im Jahr 1986


Der Musiker und die Interpretin: Milva mit Astor Piazzolla im Jahr 1986
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Bild: AFP

In Mailand war sie der Liebling von Paolo Grassi und Giorgio Strehler. Sie wurde künstlerisch hofiert von Astor Piazzolla, Franco Battiato, Vangelis, Ennio Morricone und Mikis Theodorakis und trat in Italien und Frankreich bei Festen der Kommunistischen Parteien vor Zehntausenden von Menschen auf. Sie sang die Lieder der Resistance und „Bella Ciao“, als sich noch niemand vorstellen konnte, dass das Partisanenlied eines Tages in einer Popversion die Hitparaden der Welt erobern würde. Lange bevor in der Öffentlichkeit die Rede von Frauenmorden war, prangerte sie in Liedern wie „Sono felice“ oder „Uomini addosso“ Unterdrückung und Gewalt gegen Frauen an.

Deutschland, wo sie 2006 mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse geehrt wurde, war ihre zweite künstlerische Heimat. Sie begeisterte mit Liedern wie „Wenn der Wind sich dreht“ oder „Hurra, wir leben noch“ und mit Konzerten mit Werken von Brecht und Weill. Deutsch sprach Milva freilich nur, wenn sie sang. Sie besaß die Fähigkeit, jede Melodie und jeden Text in jeder Sprache nach kurzem Zuhören oder Vorführen wiederholen zu können.

Im Jahr 2010 zog sie sich von der Bühne zurück. Sie lebte im Zentrum von Mailand, zusammen mit ihrer Sekretärin und engen Vertrauten Edith und ihrer Tochter, der Kunstkritikerin Martina Corgniati. Die Vorzüge des Alters, sagte Sie in ihrem letzten Interview mit dem „Corriere della sera“ zu ihrem achtzigsten Geburtstag, seien sehr gering. Es tue jedoch gut, in Ruhe Bilanz zu ziehen, Vergangenes zu Bewerten und die Erfahrungen auszukosten. Ob sie etwas bedauere? Milva beantwortete diese Frage, indem sie den Titel eines ihrere Lieblingsstücke zitierte, einen Song von Peter Maffay und Burkhard Brozat, den sie oft in Deutschland gesungen hatte. Sie sagte: „Keine Stunde tut mir leid.“ Am vergangenen Samstag ist dieses Leben nach 81 Jahren in Mailand zu Ende gegangen.

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