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#„Rebellionen in Russland sind in unserem Interesse“

Herr Podoljak, der Bundeskanzler sagte kürzlich, er wolle wieder einmal Putin anrufen. Kritisieren Sie das?

Gerhard Gnauck

Politischer Korrespondent für Polen, die Ukraine, Estland, Lettland und Litauen mit Sitz in Warschau.

Ich sehe Olaf Scholz mit großer Sym­pathie. Er hat vom Anfang des Krieges an klar gesehen, worum es geht und wie der Krieg enden sollte. Er ist ein absolut rationaler Mensch. Er will die Kosten des Krieges für Europa minimalisieren. Wenn er mit Putin spricht, wird er ihm noch einmal klarmachen: Verlassen Sie so schnell wie möglich die Ukraine. Dann können Sie noch irgendeine Kontrolle über Russland behalten.

Wie steht es um die ukrainische Gegen­offensive? Ein Vorrücken um 500 Meter pro Tag scheint noch kein großer Erfolg zu sein.

Wir sind in der ersten Phase unserer Offensive, und die Initiative ist auf unserer Seite. Die Front ist 1800 Kilometer lang. Da gibt es viel zu tun. Die erste Etappe sind immer Operationen, die das Schlachtfeld formieren, Russlands Verteidigungslinien testen. Aber es gibt Defizite. Es mangelt uns an Luftunterstützung, an Kampfhubschraubern und an Raketen. Auch an Artilleriemunition. Dass wir diese Raketen mit 200, 250 Kilometer Reichweite nicht haben, ist das größte Problem. Denn in dieser Entfernung sind Logistik, Transport, Magazine der russischen Truppen.

Wie ist die Lage rund um den Kachowka-Staudamm?

Es wird immer klarer, dass der Damm von innen gesprengt worden sein muss. Er war von russischen Einheiten besetzt, auch die Brückenköpfe an beiden Seiten des Flusses. Unsere Truppen standen 100 Kilometer weiter. All das müsste dazu führen, dass Russland als Urheber rechtlich klar als Akteur des Staatsterrorismus gekennzeichnet und wirtschaftlich isoliert wird. Aber es gibt immer noch eu­ropäische Unternehmen, die in Russland tätig sind. Zur jetzigen Lage: Es gibt ei­nen Mangel an Trinkwasser, auch von Ka­chowka stromaufwärts. Und strom­abwärts breiten sich Infektionskrank­heiten aus, auch weil Friedhöfe un­terspült wurden und tote Tiere he­rumliegen. Auf dem linken Ufer, wo die Russen stehen, gibt es keine Evakuierungen. Eine UN-Agentur hat nach eigenen Angaben zweimal um Genehmigung für eine humanitäre Mission gebeten, aber Russland hat klar abgelehnt. Das IKRK und andere haben keine Anstrengungen unternommen, im Flutgebiet tätig zu werden.

Was erwartet Kiew vom NATO-Gipfel in Vilnius im Juli?

Solange der Krieg andauert, wird die Ukraine nicht NATO-Mitglied werden. Aber: Der Krieg wird mit einer Nieder­lage Russlands enden. Bald wird Russland die postsowjetische Region nicht mehr kontrollieren. Und Länder wie die Ukraine werden endlich als internationale Subjekte behandelt werden. Was aber die nächste Zukunft und die diskutierten Sicherheitsgarantien betrifft: Da wären ein vorrangiger und unbegrenzter Zugang zu Waffen aus dem Westen das Wichtigste.

Hat die russische Führung nicht schon aus innenpolitischen Gründen ein Interesse, ein Ende des Krieges möglichst lange hinauszuzögern?

Berechtigte Frage. Das berührt die Ressourcen beider Seiten im Krieg. Die Ukraine ist absolut motiviert, sie verteidigt ihr Gebiet. Russland ist demotiviert und demoralisiert. Die Sanktionen treffen es hart, und wenn die Umwege, sie zu umgehen, abgeschnitten werden, noch härter. Dann wird Russland einen Waffenmangel verspüren, während wir uns bewaffnen. Noch ein Faktor: Die Exzesse in Russland selbst. Drohnen unbekannter Herkunft schlagen ein, Züge entgleisen, es gibt Explosionen. Und Putin verliert seinen Heiligenschein. Die Konflikte in seiner Umgebung wachsen. Das Chaos nimmt zu.

Wenn wir es richtig sehen, dringen russische freiwillige Kämpfer, von der Ukraine unterstützt, in russische Grenzregionen ein. Fürchten Sie nicht, dass Sie das im Westen Unterstützung kosten könnte?

Erstens: Die Ukraine kämpft nicht auf russischem Territorium. Wir haben ohnehin einen Mangel an Ressourcen. Zugleich begrüßen wir es natürlich, wenn gegenüber den Machthabern alternative Kräfte auftauchen, auch bewaffnete, die aus Bürgern Russlands bestehen und in Russland tätig werden. Es ist eine historische Regel, dass, wenn Machthaber erfolglos einen Krieg anzetteln und ihr Land damit schwächen, auf ihrem Gebiet bewaffnete Gruppen auftreten, die zum Niedergang des Regimes beitragen. Innere Konflikte werden das Ende dieses Krieges und den Sturz dieses Regimes dramatisch beschleunigen. Wir wollen ein schnelles Ende des Krieges. Wir wollen den Krieg aber nicht nach Russland hineintragen. Wir haben ein Interesse daran, dass in Russland soziale Proteste oder Rebellionen beginnen, die die Lebensfähigkeit des Putin-Regimes schnell auf null senken. Dann würde es eine Übergangsregierung geben. Nur die Auswechslung von Schlüsselfiguren in Moskau und der schnelle Rückzug aus der gesamten Ukraine könnten dann Chaos in Russland verhindern. Dann bekommen wir unsere Staatsgrenzen von 1991 zurück, und Russland kann seine Elite schnell und relativ glimpflich erneuern.

Könnte ein Bürgerkrieg ausbrechen?

Niemand kann diese Prozesse in Russland aufhalten. Russland hat so etwas mehrfach in seiner Geschichte erlebt. Erst hat Russland die Illusion seiner Stärke geschaffen. Dann glaubte Russland seiner eigenen Propaganda und begann einen großen Krieg, den es verlor. Danach begann eine innere Transformation, oft mit revolutionären Zügen.

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