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#Rechtliche Konsequenzen für Böhmermann?

„Rechtliche Konsequenzen für Böhmermann?“

Manche Dinge werden erst richtig interessant, wenn sie unzugänglich sind. Ein Papier, über das mutmaßliche Versagen einer Verfassungsschutzbehörde, das erst für 120 Jahre als „geheim“ eingestuft wird, später für 30 – das lädt zur Mythenbildung ein. Das als „NSU-Akten“ bekannt gewordene Gutachten ist von Mitarbeitern des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) von 2012 an verfasst worden und bewertet die Rolle der Behörde im Zusammenhang mit der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) zwischen 2000 und 2007.

Am Freitagabend veröffentlichte die Comedyshow „ZDF Magazin Royale“ des Moderators Jan Böhmermann zusammen mit der Plattform „Frag den Staat“ ein 173 Seiten umfassendes PDF im Internet, das als „NSU-Akten“ bezeichnet wird. Mit den Originalakten vertraute Politiker gaben gegenüber der F.A.Z. an, dass die Papiere dem ersten Anschein nach echt seien.

Ein wenig schmeichelhaftes Bild des Verfassungsschutzes

In der ZDF-Sendung konnte der Eindruck entstehen, dass nicht der Inhalt des Gutachtens entscheidend ist, sondern der Stunt, die Veröffentlichung einer geheimen Verschlusssache: So beschrieb Moderator Böhmermann viel Bekanntes über die Rolle der Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der NSU-Mordserie. Schilderte etwa, dass Andreas Temme, ein damaliger Verfassungsschützer, zum Zeitpunkt der Ermordung von Halit Yozgat durch den NSU am 6. April 2006 in Yozgats Internetcafé war, aber bei späteren Befragungen angab, von den Schüssen nichts mitbekommen zu haben.

Über die Rolle Temmes oder Bezüge der Wiesbadener Behörde zum Kasseler Umfeld des NSU finden sich jedoch nach erster Durchsicht der Akten nur wenige Hinweise. Lediglich 30 Belege weisen einen Bezug auf.

Dazu heißt es jedoch in dem nun veröffentlichten Papier: „Interessanten Hinweisen oder Anhaltspunkten wurde zum Zeitpunkt der Datenerhebung sowohl in der Auswertung als auch in der Beschaffung nicht immer konsequent nachgegangen.“ Das galt offenbar auch für Hinweise auf den Waffenbesitz von Rechtsextremen, worüber der Verfassungsschutz Ende der Neunziger- und Anfang der Zweitausenderjahre teilweise Kenntnis erhielt.

Auch wenn es im Gutachten heißt, dass die Vorgänge priorisiert und „gestaffelt abgearbeitet“ werden sollten, bleibt doch ein wenig schmeichelhaftes Bild des Verfassungsschutzes aus einer Zeit, als Rechtsextremismus auch von der Politik als geringe Bedrohung eingeschätzt wurde.

Das LfV prüft die veröffentlichten Unterlagen nun offenbar. In einer Stellungnahme vom Samstag heißt es, „im Hinblick auf enthaltene personenbezogene Daten und tangierte Staatswohlbelange“, stehe man „im Austausch mit den Polizei- und Verfassungsschutzbehörden“. Aus den Reihen der CDU-Fraktion wurde scharfe Kritik an der Veröffentlichung laut. „Auch die Pressefreiheit hat ihre Grenzen, und diese hat Jan Böhmermann meines Erachtens überschritten“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Holger Bellino.

Die Gründe für den Schritt würden sich ihm nicht erschließen. Für die Angehörigen der Opfer gebe es keine neuen Erkenntnisse, zugleich sei nicht auszuschließen, dass Extremisten durch die Verknüpfung dieser Informationen aus anderen Dokumenten Rückschlüsse auf Arbeitsweise und Informanten der Sicherheitsbehörden ziehen könnten, äußerte Bellino. So könnten „Menschenleben gefährdet und die Arbeit der Sicherheitsbehörden nachhaltig erschwert werden“.

SPD wirft Grünen ein „Doppelspiel“ vor

Die Grünen, die seit achteinhalb Jahren mit der CDU in Hessen regieren, klingen deutlich zurückhaltender. Der Fraktionsvorsitzende Mathias Wagner teilte mit, dass sich seine Einschätzung mit jener der ZDF-Sendung decke. Die Unterlagen zeichneten „ein desolates Bild“ des damaligen Zustands des Verfassungsschutzes. Er verweist auf die Abwägung zwischen öffentlichem Interesse und Geheimdienstarbeit, die „nicht öffentlich geführt“ werden könne. Umständlich heißt es: „Daher steht es nicht im freien Benehmen Einzelner, ob solche Informationen veröffentlicht werden oder nicht.“

Deutliche Kritik klingt anders. Dabei hatte auch Wagner noch im Jahr 2021 gewarnt, dass „Leib und Leben“ von Informanten auf dem Spiel stünden, würden die Akten veröffentlicht. Für diese Aussage werden die Grünen bei Twitter nun kritisiert. Die SPD wirft ihnen ein „Doppelspiel“ vor. „In Berlin fordern sie Transparenz, in Hessen behindern sie die Aufklärung“, sagte Günter Rudolph, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag, der F.A.Z. Die Äußerungen aus den Reihen der CDU kritisierte er. „Der Verfassungsschutz in Hessen hat unter CDU-Ministern die Augen vor dem Rechtsextremismus verschlossen.“ Aufklärung sei nötig, nicht Drohungen gegen Journalisten.

Medienrechtler bewerteten die Veröffentlichung eher als zulässig. „Die Berichterstattung wäre unzulässig, wenn es sich um Angaben handelte, die die Funktionalität der Behörde infrage stellen“, sagte Axel Beater, Professor für Medienrecht an der Universität Greifswald, der F.A.Z. Da aber in diesem Fall viel geschwärzt worden sei, hielt er es eher für zulässig, die Papiere zu veröffentlichen. Auch wenn sich daraus keine neuen Erkenntnisse ergeben würden, handele es sich um eine Form der Machtkritik, die Aufgabe von Journalisten sei.

Matthias Cornils, Professor für Medienrecht an der Universität Mainz, verwies auf die Reform vor zehn Jahren, die infolge einer Verfassungsgerichtsentscheidung die Rolle von Journalisten bei Vorwürfen von Geheimnisverrat stärkte. Für Cornils ist es vor allem eine moralische Frage, ob der recht geringe Erkenntnisgewinn den Bruch der Geheimhaltung rechtfertige, weniger eine rechtliche.

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