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#So sehr belasten Spahns Pläne die Krankenkassen

So sehr belasten Spahns Pläne die Krankenkassen

Nicht die Folgen der Corona-Pandemie, sondern die vielen Gesetzespläne von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sind die eigentlichen Kostentreiber in der medizinischen Versorgung. Zu diesem Ergebnis kommt eine interne Schätzung aus dem Kreis der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), die der F.A.Z. vorliegt. Nach der Analyse von dreizehn Gesetzen und Vorlagen beziffern die Kassen ihren Zusatzbedarf von 2019 bis 2022 auf rund 33 Milliarden Euro – „ohne Corona“, wie es ausdrücklich heißt.

Christian Geinitz

Heike Göbel

Heike Göbel

Verantwortliche Redakteurin für Wirtschaftspolitik, zuständig für „Die Ordnung der Wirtschaft“.

Rechnerisch steigen die Kosten wegen der Reformen um 8,2 Milliarden Euro im Jahr. Das sind 3,4 Prozent der Leistungsausgaben eines Jahres, die 2019 knapp 240 Milliarden Euro betrugen. Die größten Treiber sind die Gesetze zur Pflegepersonalstärkung und für einen besseren Terminservice mit einem jeweiligen Plus von mehr als 2 Milliarden im Jahr.

Offiziell sagen die Versicherungen zu der Aufstellung nichts. Doch ist vielfach zu hören, Spahn schiebe Corona vor, um davon abzulenken, wie teuer seine Vorhaben seien. Tatsächlich bremse die Epidemie den Ausgabenanstieg eher, da viele Behandlungen verschoben oder abgesagt würden. Einig ist man darüber, dass sich die Kostenexplosion nur abmildern lässt, wenn entweder Leistungen eingeschränkt, Beiträge erhöht, Reserven angezapft oder die Mittel aus dem Bundeszuschuss ausgeweitet werden.

Finanzierungslücke von 16 Milliarden Euro

Die beiden ersten Möglichkeiten sind im Bundestagswahlkampf und in der Wirtschaftskrise kaum zu vermitteln. Deshalb greift die Regierung auf die Reserven der Versicherungen zurück und auf den Steuerzahler. Das Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz, zu dem es am Montag eine Anhörung im Gesundheitsausschuss gab, beziffert die Finanzierungslücke für 2021 auf 16 Milliarden Euro. Um sie zu schließen, soll der Bundeszuschuss um 5 Milliarden auf 19,5 Milliarden steigen. Weitere 8 Milliarden werden aus den GKV-Reserven abgeschöpft, 3 Milliarden will man aufbringen, indem der durchschnittliche Kassen-Zusatzbeitrag um 0,2 Punkte auf 1,3 Prozent steigt.

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Diese Erhöhung, die Versicherte und Arbeitgeber je hälftig zahlen, ist das maximal Mögliche, weil die Koalition für die Dauer der Corona-Krise eine „Sozialgarantie“ abgegeben hat: Die Beitragssätze aller vier Sozialversicherungen zusammen sollen nicht über 40 Prozent steigen (vom Bruttolohn bis zur Beitragsbemessungsgrenze). Das erreicht Berlin nur mit Tricksereien. So machte der Spitzenverband der Kassen im Schätzerkreis klar, dass die Zusatzbeiträge um 0,3 Punkte klettern müssten. Dann aber wäre die Sozialgarantie Makulatur gewesen, so dass sich das Gesundheitsministerium querstellte.

In seiner Reform der Pflegeversicherung, die 2021 erstmals auch Steuermilliarden brauchen wird, schwebt Spahn vor, die Zusatzbeiträge für Kinderlose um 0,1 Punkte auf dann 0,35 Prozent zu erhöhen. Auch das ist ein Notbehelf, um die Sozialgarantie zu retten. Denn diese Sonderbelastung wird auf die 40 Prozent nicht angerechnet, da sie der Versicherte allein aufbringen muss. Doch selbst wenn sich die große Koalition 2021 noch durchmogelt mit der Sozialgarantie: Nach Ansicht von Fachleuten muss spätestens die neue Regierung den Versicherten reinen Wein einschenken und auch die regulären Beiträge deutlich erhöhen. Zumal die Kassenreserven, die jetzt noch einen gewissen Puffer bilden, irgendwann aufgezehrt sein werden

Beitragserhöhungen nach der Wahl absehbar

Das jedenfalls erwartet Günter Wältermann, der Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland/Hamburg, der achtgrößten Ortskrankenkasse. „Die Maßnahmen zur Sozialgarantie sind zu kurz gedacht, sie reichen fast punktgenau bis zu den Bundestagswahlen“, sagte Wältermann der F.A.Z. „Nach der Wahl kommen die Krankenkassen an ihr finanzielles Limit. Dann sind Leistungsausgrenzungen und Beitragssatzerhöhungen unausweichlich.“ Der Krankenkassenchef fordert die Fortsetzung eines „angemessenen“ Bundeszuschusses und „eine Verstetigung der Sozialgarantie bis mindestens 2023“.

Sehr deutlich wird auch Rainer Schlegel, der Präsident des Bundessozialgerichts. Das 40-Prozent-Ziel sei „nur mit Steuerzuschüssen einzuhalten“, sagte Schlegel im F.A.Z.-Interview. Schon vor der Pandemie seien die Gesundheitsleistungen stark gestiegen. Wirtschaftlichkeit und Beitragssatzstabilität habe man nicht mehr ernst genommen, ebenso wenig die Eigenverantwortung. „Das muss sich wieder ändern“, fordert Schlegel, der unter Ursula von der Leyen Abteilungsleiter im Bundessozialministerium war. Es sei darüber nachzudenken, die GKV ganz auf Steuern umzustellen: „Eine gewisse Steuererhöhung wäre nötig. Natürlich bedeutet es auch, dass man zu einem sparsameren Umgang mit den Leistungen kommen muss, etwa über Eigenbeteiligung.“

Spahn selbst ist sich der heiklen Kassenlage bewusst. „Zehn Jahre lang lief es wirtschaftlich so gut, dass wir über die Finanzierungsgrundlage der Krankenkassen nicht diskutieren mussten“, sagte er der F.A.Z. „Diese rosigen Zeiten sind erst mal vorbei.“ In den vergangenen anderthalb Jahren sei die Regierung viele Mängel angegangen, etwa die geringe Attraktivität der Gesundheitsberufe. „Es stimmt, deswegen gibt es Mehrkosten. Aber wir müssen uns als Einzelne und als Gesellschaft immer fragen: Wie viel sind uns Gesundheit und Pflege wert? Wir sollten das nicht nur als Kosten sehen, sondern als Investitionen in soziale Sicherheit im besten Sinne.“ Der Gesundheitsausschuss beriet am Montag auch über das dritte Bevölkerungsschutzgesetz, das der Bundestag am Mittwoch beschließen will. Es sieht bei Epidemien neue Impf-, Test- und Reiseregelungen vor und soll einen neuen Schutzschirm über den Kliniken aufspannen.

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