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#Stehen wir vor einem neuen Kulturkampf mit dem Islam?

Stehen wir vor einem neuen Kulturkampf mit dem Islam?

Brennt die Lunte an der Bombe, die in der bekanntesten der „Mohammed-Karikaturen“ als Turban auf dem Haupt des Propheten sitzt, schon wieder? Selbst der grausame Mord an dem französischen Lehrer Samuel Paty, der die umstrittenen Zeichnungen im Unterricht gezeigt hatte, vermochte es nicht, die Eiferer zum Innehalten zu bewegen. Stattdessen drehte die Spirale von Empörung und Hass sich nur noch schneller – und droht nun in eine neue Welle terroristischer Gewalt zu münden.

Nach den Attacken in Nizza und Wien waren Emmanuel Macron und Sebastian Kurz zwar bemüht, zu unterscheiden zwischen Islamismus als Ideologie und Islam als Religion. Hinter solchen Äußerungen steht aber auch Angst: davor, dass diese Unterscheidung verlorengeht – sowohl bei Muslimen als auch in den Mehrheitsgesellschaften. Steuern wir auf einen neuen Kulturkampf mit dem Islam zu?

Der Wille zur Provokation

Kulturelle Gräben haben sich jedenfalls schon aufgetan: Wenn etwa Macron gelobt, er wolle „alle Unterschiede respektieren“, zugleich aber in Frankreich Pläne verkündet werden, ein Buch mit religiösen Karikaturen an Schulen zu verteilen – dann fühlen viele Muslime sich eben nicht respektiert. Wenn auf der anderen Seite ein Politiker wie Pakistans Ministerpräsident Imran Khan dazu aufruft, den „Kreislauf von Hass und Gewalt“ zu beenden, die im eigenen Land geltende Todesstrafe für gegen den Islam gerichtete Blasphemie aber nicht antastet – dann steht das aus westlicher Sicht für die Doppelmoral, die in der islamischen Welt und auch bei vielen Muslimen im Westen in solchen Fragen herrscht.

Gibt es da überhaupt Raum für Verständigung? Zunächst sollte man die verschiedenen Ebenen unterscheiden, auf denen der Konflikt sich abspielt. Da ist die politische Ebene, etwa Erdogans Selbstinszenierung als Führungsfigur der Muslime und seine Ablenkungsmanöver angesichts seiner bröckelnden Popularität. Also betätigt er sich als Brandbeschleuniger. Auch als die Karikaturen 2005 erstmals im dänischen „Jyllands-Posten“ erschienen, wurde erst Monate später ein Eklat daraus, nachdem interessierte islamische Kreise sie im Nahen Osten gestreut (und verschärfend manipuliert) hatten.

Der Wille zur Provokation war es allerdings auch, der die zwölf Zeichnungen überhaupt erst hervorgebracht hatte – was manche der von der Zeitung angefragten Karikaturisten durchaus kritisch thematisierten. Das ist die ideologische Ebene: der Wille und Versuch, Differenzen zwischen „dem Islam“ und „dem Westen“ so sehr zu vergrößern und zu vergröbern, dass sie spaltend wirken. Auch heute gibt es Leute, die alle und alles auf der Gegenseite in einen Topf werfen oder anhand simpler Gegensatzpaare einsortieren. Auf beiden Seiten.

Sieht der Staat genau genug hin?

Natürlich macht es einen himmelweiten Unterschied, ob jemand Worte oder Bilder benutzt, um Kritik zu üben – wie pauschal, überzogen und lästerlich auch immer –, oder ob damit zur Gewalt aufgerufen wird. Macron und Kurz gehen den richtigen Weg, wenn sie gegen letztere Tendenz Härte zeigen. Und es ist gut, wenn Horst Seehofer islamische Autoritäten jetzt an ihre Verantwortung im Kampf gegen Fanatismus erinnert und etwa eine Ausbildung der Imame im Sinne des Grundgesetzes anmahnt. Denn gerade der Mord an Paty hat deutlich gemacht, wie kurz der Weg sein kann von öffentlich geäußerter Empörung zur Gewalttat. Die Abgrenzung zwischen scharfer, aber noch statthafter Kritik und nicht mehr zu tolerierender Rechtfertigung von Gewalt kann im Einzelfall schwierig sein. Es hat aber den Anschein, dass der Staat hier oft noch nicht genau genug hinsieht.

Allein mit rechtlichen Mitteln bekommt man die Polarisierung aber nicht in den Griff. Die öffentliche Debatte leidet bisweilen darunter, dass es sich um ein aufgeladenes und zugleich komplexes Thema handelt. Zudem sind diejenigen, die den Kulturkampf herbeischreiben oder -boykottieren wollen, nicht immer leicht zu unterscheiden von jenen, denen es ganz um die Sache geht.

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Dabei wäre mehr denn je die Fähigkeit zur Differenzierung gefragt. Denn selbst wenn man die genannten Faktoren in Betracht zieht, bleibt ein – womöglich unauflöslicher – Widerspruch. Die von Muslimen beklagte Verletzung religiöser Gefühle durch die Karikaturen ist ja nicht eingebildet: Mohammed genießt im Islam große Verehrung, und seine Darstellung wird abgelehnt. Daran ändert weder der Verweis auf die islamische Geschichte etwas, in der es durchaus Mohammed-Darstellungen gab, noch das Beharren auf der Tradition aufklärerischer Religionskritik in Europa.

Zweifellos müssen Muslime ebenso wie andere damit leben, dass ihr Glauben hierzulande Ziel von Kritik oder Spott sein kann. Diese Freiheit muss gegen Versuche der Einschränkung verteidigt werden. Zum Recht auf freie Rede gehört freilich auch, dass jeder entscheiden kann, ob und wie er es wahrnimmt. Karikaturen kann man abdrucken – oder es lassen. Gegen Karikaturen kann man protestieren – oder es lassen. Etwas mehr Einfühlungsvermögen und Bewusstsein für eine verantwortliche Freiheitsausübung auf allen Seiten wären nicht das Schlechteste. Denn verschwinden wird dieses Problem nicht.

Christian Meier

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