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#Feinster Sand für den Sultan

Feinster Sand für den Sultan

Die Geschichtsbücher der Zukunft werden als stärkste Verwerfung der Türkei in den Zweitausenderjahren zweifellos die Gezi-Proteste von 2013 aufführen. Erdogan wollte im Gezi-Park, einem der damals letzten grünen Flecken Istanbuls, eine Kaserne wiederaufbauen lassen. Die Proteste einer Umweltgruppe dagegen weiteten sich zu einem Feuerwerk der über elf Jahre AKP-Herrschaft angestauten Wut aus. Mit unverhältnismäßig brutaler Polizeigewalt ließ Erdogan die Proteste niederschlagen, seine Anweisungen zur Intervention führten zum Tod von zehn jungen Männern.

2013 gelang es Erdogan zwar, den Aufstand zu unterdrücken, doch er konnte nicht verhindern, dass er bei der folgenden Parlamentswahl seine absolute Mehrheit einbüßte. Er war aber nicht bereit, die Macht zu teilen, und ließ nach dem Wahlschock im Juni 2015 mittels einer Reihe politischer Schachzüge die Wahlen wiederholen. Aus den Neuwahlen am 1. November 2015 ging seine Partei dann wieder als Siegerin hervor. War es Zufall, dass wir in den fünf Monaten zwischen den beiden Wahlterminen Anschläge erlebten, die fast tausend Menschen das Leben kosteten, und sich die erschrockene, eingeschüchterte Gesellschaft bei den Neuwahlen aus Sorge um die Sicherheit dem Starken zuwandte? Vielleicht werden wir auch das aus den künftigen Geschichtsbüchern erfahren.

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2013 erkannte Erdogan, dass Wasser in sein Schiff eindringt, mit dem Coup der Wahlwiederholung 2015 gewann er Zeit, nun brachte er das „Präsidialsystem à la turca“ aufs Tapet, um seine autokratischen Neigungen dem Staat überzustülpen und vor allem – sich seinen Posten zu sichern. Wir gingen 2017 in einen Volksentscheid, bei dem die Medien mundtot gemacht und alle, die mit Nein stimmen wollten, der Unterstützung des Terrorismus bezichtigt wurden. Das weltweit einzigartige neue System, das die Gewaltenteilung beendet und in der eine einzige Person nahezu jede Entscheidung trifft, wurde nach Erdogans Wunsch abgesegnet. 51,4 Prozent stimmten bei dem Referendum mit Ja, 48,6 Prozent mit Nein, die Türkei verabschiedete sich also von der parlamentarischen Demokratie. Erdogan gewann auch die gut ein Jahr nach dem Volksentscheid abgehaltenen Präsidentenwahlen und konnte mit halbwegs sultansgleichen Befugnissen in seinen Tausend-Zimmer-Palast einziehen.

Bülent Mumay


Bülent Mumay
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Bild: privat

Vor dem Referendum 2017 wie auch vor den ersten Präsidentenwahlen im neuen System 2018 pries Erdogan die neue Ordnung regelrecht als Paradies. Sobald das Präsidialsystem eingeführt sei, würde die Wirtschaft abheben und die Türkei in Sachen Demokratie einen enormen Sprung nach vorn machen. Wie schön wäre das gewesen! Leider hoben dann bloß unsere Freiheiten ab und das Geld in unseren Portemonnaies. Jetzt wird das Präsidialsystem unter Erdogan drei Jahre alt, es hat mehr Armut gebracht und weitere Breschen in die Demokratie geschlagen. Die türkische Lira musste eine Abwertung von historischen Ausmaßen hinnehmen, war ein Euro 2018 noch 5,3 Lira wert, sind es heute 10,3 Lira. Unser Nationaleinkommen ist um 85 Milliarden Euro geschrumpft. Die offizielle Inflationsrate kratzt bald an der Zwanzig-Prozent-Marke. Allein unsere Stromrechnung ist in den drei Jahren des neuen Systems um 122 Prozent gestiegen. Dazu sei angemerkt, dass die Preissteigerungen dem AKP-Vize-Vorsitzenden zufolge „ausländischen Attacken“ geschuldet seien.

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