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#TV-Kritik „Maybrit Illner“: Der Abkanzler

Bei Maybrit Illner spricht sich auch Friedrich Merz für Neuwahlen aus, erhebt also Anspruch auf die Kanzlerschaft. Was genau er will, sagt er aber nicht. Nur was die anderen nicht können.

Wer sich den Luxus leistet, gelegentlich auch in englische oder amerikanische Medien hineinzuschauen, der wird zwangsläufig recht schnell auf all die Artikel und Kommentare stoßen, in denen es scharfe Kritik, oft auch Spott und Häme gibt für diese deutschen Erfindung, die man auf Englsch „the debt brake“ nennt.

Claudius Seidl

Redakteur im Feuilleton.

Dass ein Land, das unter den großen Industrieländern eine der niedrigsten Schuldenquoten hat, zugleich aber an einem Investitionsrückstand von mindestens fünfzehn Jahren leidet – dass dieses Land mit angezogener Schuldenbremse in die Zukunft fahren will, das kann man sich in England und Amerika eigentlich gar nicht erklären. Und wenn doch, dann ist es offenbar das Staatsziel der Deutschen, dass die Enkel zwar eine kaputte Bahn, ruinöse Straßen, eine vorsintflutliche Digitalisierung und verslummte Schulen erben werden, von der zerstörten Umwelt ganz zu schweigen. Dass diese Enkel sich dafür aber über einen halbwegs ausgeglichenen Staatshaushalt werden freuen können. „Swabian Housewife“, das ist, von dort aus betrachtet, eine folkloristische, aber keine ökonomische Figur.

Mehr Streit wagen

Man muss nicht dieser Ansicht sein, um sich doch zu fragen, ob es unter den zertifizierten Talkshowgästen wirklich niemanden gibt, der diese oder eine ähnliche Position einmal artikulieren und vielleicht im Streit mit deutschen Politikern verteidigen und behaupten könnte mit allseits respektiertem ökonomischen Sachverstand.

Es wäre sicher spannender, als wenn, wie am Donnerstagabend bei „Maybrit Illner“, die Gäste einander nur mit Sparvorschlägen kommen. Und man sich kaum wehren kann gegen den Eindruck, dass die deutsche Politik eine fast schon schmerzhafte Lust entwickelt hat, sich selbst so zu behandeln, wie man, vor elf, zwölf Jahren, Griechenland behandelt hat.

Als Mensch mit ein bisschen Sprachgefühl muss man ja der Schuldenbremse schon aus semantischen Gründen misstrauen. Eine Bremse zieht man an, man löst sie wieder, oder man baut sie aus – und es spricht sehr für Friedrich Merz, dass er den Begriff fast ausschließlich so verwendet.

Was macht man mit der Bremse?

Wenn aber davon die Rede ist, dass die Bremse aufgeweicht, geöffnet, reformiert, verlängert, ausgesetzt werden soll, dann schafft das nicht nur keinerlei Anschaulichkeit und Verständlichkeit beim Publikum. Es wirft auch die Frage auf, ob die, die so reden, wirklich wissen, was sie sagen wollen. Und wenn auch bei Strom- und anderen Energiepreisen von einer Bremse (und nicht etwa von einer Grenze oder einem Limit) gesprochen wird, dann hat die Beliebtheit der Metapher womöglich darin ihren Grund, dass die Deutschen es generell lieber langsam mögen. Wenn, was das jüngste Urteil in Sachen Klimaschutz ja nahelegt, demnächst doch das Tempolimit kommt, das die meisten Deutschen auch wollen: Dann wird es Raserbremse heißen.

Das Thema der Sendung waren das Geld, das nicht mehr da ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, und die Frage, wo es jetzt herkommen oder wo es eingespart werden soll. Und es war Saskia Esken, die vielleicht die ehrlichste Antwort gab, als sie gefragt wurde, wo die SPD jetzt sparten wolle und werde: Das sage sie nicht, sagte sie, das sei ja noch Gegenstand von Verhandlungen.

Friedrich Merz allerdings, der auf die Eröffnungsfrage, ob auch er, wie sein Parteifreund Markus Söder, für Neuwahlen sei, antwortete, der Tag der Europawahlen sei doch auch für eine vorgezogene Bundestagswahl der richtige Termin. Womit er, indirekt, den Anspruch formulierte, im nächsten Sommer endlich Kanzler zu werden. Und entsprechend groß waren die Fragen, die Maybrit Illner ihm stellte: Ob er für ein Sondervermögen zur ökologischen Transformation zu haben sei. Und wie er, generell, das Geld, das jetzt fehle, beschaffen würde.

Die Fantastiliarden der Ampel

Leider antwortete Merz eher kleinteilig und wie ein Abkanzler: indem er der Koalition vorwarf, dass sie sich hier und da als unzuverlässig erwiesen habe, weshalb mit ihm kein Sondervermögen zu bilden sei. Und dass man an der einen und der anderen Stelle eben sparen müsse; die Regierung verfüge doch über Milliardensummen. Was sich immer gut anhört, für Leute, die über Miet- und Lebensmittelpreise stöhnen. Und was doch erst zum Argument wird, wenn man einen Plan präsentiert, wo genau die vielen Milliarden herkommen sollen.

Immerhin wies Merz, en passant, darauf hin, dass die Ampel gerade einen krassen Widerspruch produziert: wenn einerseits der Kanzler sich vor den Bundestag stellt und so tut, als wäre trotz des Urteils des Verfassungsgerichts nichts geschehen. Und die Regierung andererseits die multiplen Krisen aufs Heftigste und Düsterste beschwört, weshalb man von einer Notlage mit all den finanziellen Konsequenzen unbedingt ausgehen müsse.

Ein bisschen Schwung brachte nur noch Lars Feld hinein, Ökonom und Berater des Finanzministers, der ein großer Freund der angezogenen Schuldenbremse ist. Man müsse Subventionen abschaffen, sagte Feld, und bewies deren Sinnlosigkeit am Beispiel jener Chipfabrik, die mit zehn Milliarden subventioniert werden soll: Das schaffe, eben weil die Milliarden erst mal wieder hereinkommen müssen, kein Wachstum; und in der Zeit des Fachkräftemangels würden die Arbeitsplätze, die dort entstehen, nur woanders den Mangel verschärfen.

Als Katrin Göring-Eckardt die Vorlage zu verwandeln versuchte und das Dienstwagenprivileg und die Diesel- und Kerosinsubventionen ins Spiel brachte, grinste Friedrich Merz nur herablassend und deutete an, dass das ja wohl die ältesten aller Hüte seien.

Ach, die Lage ist verfahren, und neue Ideen, so könnte man die Sendung zusammenfassen, sind nicht erwünscht. Nicht bei der Regierung, nicht bei der Opposition.

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