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#Taurus-Hersteller MBDA: „Technisch ist alles machbar“

Europas größter Raketenhersteller MBDA ist gefragt wie nie. Die Aufrüstungswelle und die Taurus-Debatte haben ihn ins Blickfeld gerückt. Der Konzern betont: Wenn die Politik klare Ansagen macht, kann man schnell liefern.

Viel war aus Eric Béranger auf der Bilanzpressekonferenz am Mittwoch nicht herauszukriegen. Der Chef des größten europäischen Herstellers von Luftverteidigungs- und Lenkflugkörpersystemen MBDA war in der aufgeheizten Taurus-Debatte sichtlich bemüht, sich nicht allzu weit vorzuwagen oder gar Position zu beziehen.

Entsprechend knapp fiel seine Antwort auf die Frage aus, ob man die große Reichweite des Taurus – ein zentrales Argument von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gegen die Lieferung des Marschflugkörpers an die Ukraine – technisch ohne größeren Aufwand begrenzen könne. Die deutsche Tochtergesellschaft des in Le Plessis-Robinson bei Paris ansässigen MBDA-Konzerns hat den Taurus unter Beteiligung von Saab aus Schweden entwickelt und produziert.

„Technisch ist alles machbar“, sagte Béranger und schob ein „recht einfach“ („quite easy“) hinterher. Wie, wollte er nicht verraten. Das Thema Reichweitenkontrolle sei eine Frage des Betriebs. Will meinen: Die Entscheidung darüber liege beim Kunden, also der Politik und den Streitkräften. „Mehr kann ich Ihnen nicht dazu sagen“, schloss Béranger. Auch detaillierte Vergleiche zwischen dem Taurus mit den nahezu baugleichen französischen und britischen MBDA-Produkten Scalp und Storm Shadow wollte der Konzernchef am Mittwoch nicht ziehen. Deren Reichweite unterscheidet sich nach allgemeiner deutscher Lesart merklich von der des Taurus. Béranger erklärte dazu nur so viel: Sie alle drei seien Marschflugkörper, die über große Distanz präzise Ziele treffen können.

„Frankreich vertraut an der Stelle der Ukraine“

Die Taurus-Debatte hatte im vergangenen Jahr Fahrt aufgenommen, nachdem Paris und London die Lieferung der in Frankreich und Großbritannien endmontierten Scalp- und Storm-Shadow-Marschflugkörper an die Ukraine angekündigt haben. MBDA gibt die Reichweite dieser beiden Produkte offiziell mit „mehr als 250 Kilometern“ an. Beim Taurus spricht der Konzern von „mehr als 500 Kilometern“. Dabei gilt in Fachkreisen als offenes Geheimnis, dass die wahren Zahlen damit nicht unbedingt viel zu tun haben. Auch bei MBDA dementiert man im Hintergrund nicht, dass „mehr als“ gar deutlich mehr meinen kann.

„Die Basisversion von Scalp hat eine Reichweite von mindestens 400 Kilometern und eher rund 550 Kilometern“, sagt Fabian Hoffmann, Rüstungsfachmann an der Universität von Oslo. Für den Taurus schätzt er die Reichweite dank eines effizienteren Triebwerks auf 700 bis 800 Kilometer. In Wahrheit hätten alle drei Marschflugkörper „beträchtliche Reichweiten“. Grund für die große Diskrepanz zwischen den offiziell kommunizierten und tatsächlichen Reichweiten ist zumindest im Fall von Scalp der Umstand, dass es eine Exportversion gibt. Sie wurde bewusst so entwickelt, dass sie nicht so weit fliegt. Offen ist jedoch, ob diese oder nicht vielmehr die Basisversion in der Ukraine im Einsatz ist. Offiziell dazu bekannt ist nichts.

Auftragseingang auf Rekordniveau

Hoffmann geht fest davon aus, dass die Ukrainer mit Scalp-Marschflugkörpern in der Basisversion operieren, und zwar ohne technische Reichweitenbegrenzung durch ein sogenanntes Geofencing oder andere Eingriffe. Die Lieferung sei aus französischen Beständen erfolgt. Das hieße im Umkehrschluss, dass für die Ukrainer nicht erst mit dem Taurus Reichweiten von weit mehr als 250 Kilometern und Angriffe auf russischem Staatsgebiet möglich wären. „Frankreich vertraut an der Stelle der Ukraine“, sagt Hoffmann. Schließlich musste es schnell gehen.

Dass Prozesse bei politischem Willen erheblich beschleunigt werden können, machte MBDA-Chef Béranger am Mittwoch gerade anhand der Scalp- und Storm-Shadow-Lieferungen deutlich. Innerhalb von wenigen Wochen habe man die ukrainischen Su-24-Kampfjets befähigt, die Marschflugkörper zu transportieren. „Das hätte unter normalen Umständen Jahre gedauert“, hatte er schon Anfang des Jahres im Gespräch mit der französischen Wirtschaftszeitschrift „Challenges“ betont. „Wir konnten sehr schnell agieren, weil wir die Designautorität hatten, das heißt die Fähigkeit und Legitimation, zu handeln und technische Entscheidungen zu treffen“, sagte Béranger.

Druck, zu liefern, lastet derweil auch allgemein auf MBDA. Als großer Hersteller von Rüstungsgütern profitiert der Konzern seit Monaten von den kräftig wachsenden Wehretats. Für das abgelaufene Geschäftsjahr vermeldete MBDA am Mittwoch Neubestellungen im Wert von 9,9 Milliarden Euro. Der Auftragseingang aus dem Rekordjahr 2022 wurde damit noch einmal um 10 Prozent übertroffen. Der Umsatz wuchs mit 4,2 auf 4,5 Milliarden Euro etwas schwächer. Zu den Großaufträgen, die der Konzern im vergangenen Jahr an Land ziehen konnte, gehören knapp 700 Aster-Flugabwehrraketen für die französischen und italienischen Streitkräfte. Deren Fregatten stattet MBDA auch mit modernen Luftverteidigungssystemen aus. Ansonsten kam unter anderem eine Milliardenbestellung von CAMM-Flugabwehrraketen mit kürzerer Reichweite aus Polen.

Der Auftragsbestand von MBDA ist durch den Rekordauftragseingang auf knapp 28 Milliarden Euro geklettert. Das sind knapp 6 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. Der Konzern will die gute Geschäftsentwicklung nutzen, um in diesem Jahr rund 2600 Mitarbeiter einzustellen. Im Zeitraum von 2023 bis 2028 sind Investitionen in Höhe von 2,4 Milliarden Euro geplant. MBDA wurde 2001 gegründet und gilt als eines der wenigen gelungenen Beispiele europäischer Konsolidierung im Rüstungssektor. Der Konzern befindet sich zu je 37,5 Prozent in den Händen des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns Airbus und des britischen Rüstungskonzerns BAE Systems. Die übrigen Anteile hält der italienische Mischkonzern Leonardo.

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