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#Wenn der Zweitplatzierte den Regierungschef stellt

„Wenn der Zweitplatzierte den Regierungschef stellt“

18,4 Prozent Stimmenanteil, zweiter Platz, nur 105 Stimmen mehr als die Grünen. Franziska Giffey und ihre SPD sind am Sonntag von den Wählern abgestraft worden. Giffey selbst sagt: „So, wie es ist, kann es nicht bleiben.“ Und doch möchte sie ihre rot-grün-rote Koalition fortführen – und Bürgermeisterin bleiben. Das mag insbesondere den Wahlsieger empören. Ohne historische Vorbilder ist es jedoch nicht.

In der Geschichte der Bundesrepublik ist es auf Bundesebene sogar mehrmals vorgekommen, dass nicht der Erstplazierte sondern der Zweitplazierte eine Regierungskoalition bildete und dann auch den Bundeskanzler stellte. Diese Konstellation gab es nach den Wahlen 1969, 1976 und 1980.

Die sozialliberalen Jahre

In der Bundestagswahl 1969 erhielt die Union mit Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger 46,1 Prozent der Stimmen, die SPD 42,7 und die FDP 5,8 Prozent. Danach konstituierte sich eine sozialliberale Koalition. Erstmals stellte die Union nicht mehr den Bundeskanzler, obwohl sie weiterhin die größte Bundestagsfraktion bildete. Am 21. Oktober 1969 wurde Willy Brandt zum Bundeskanzler gewählt.

1976 erhielten CDU und CSU mit ihrem Kandidaten Helmut Kohl zusammen 48,6 Prozent der Stimmen und die SPD 42,6 Prozent. Trotzdem machte die sozialliberale Koalition weiter, Helmut Schmidt konnte Bundeskanzler bleiben.

Auch 1980 bildete die SPD die Bundesregierung, obwohl die Union die Wahl gewonnen hatte. Herausforderer war damals Franz Josef Strauß: CDU und CSU hatten 44,5 Prozent der Stimmen erhalten, die SPD 42,9 und die FDP 10,6. Zwei Jahre später kündigte die FDP der SPD die Zusammenarbeit auf, und Helmut Kohl kam durch ein Konstruktives Misstrauensvotum an die Macht.

Auch Armin Laschet erwog 2021, trotz seiner knappen Niederlage Koalitionsverhandlungen für ein Jamaika-Bündnis aufzunehmen. Nach einigen Gesprächen entschieden FDP und Grüne jedoch, zuerst mit der SPD zu sondieren.

Der Fall Ole von Beust

In den Bundesländern muss man Regierungsbildungen aus der zweiten Reihe gründlicher suchen (und teils weit zurückgehen): 1950 hatte zum Beispiel in Bayern die SPD mit 28 Prozent der Stimmen gewonnen, während die CSU nur 27,4 Prozent erzielte. Aufgrund der Erststimmen erhielt sie jedoch einen Sitz mehr. Ministerpräsident Hans Ehard bildete daraufhin eine große Koalition mit der SPD.

Auf dieses Beispiel bezog sich offenbar Saskia Esken in ihrer Kommentierung der Wahl in Berlin, um eine mögliche Fortsetzung der Berliner rot-grün-roten Koalition zu rechtfertigen. Warum Esken dieses Beispiel wählte, ist unklar, zumal die CSU in Bayern 1950 ja immerhin einen Sitz mehr errungen hatte als die SPD – und es in Hamburg 2001 einen einschlägigeren Fall gab.

Damals hatte die SPD mit 36,5 Prozent der Stimmen unter Ortwin Runde gewonnen, aber die Regierung bildete der CDU-Herausforderer Ole von Beust. Er hatte zwar nur 26,2 Prozent der Stimmen erzielt, ging aber mit der FDP (5,1 Prozent) und der Partei Rechtsstaatliche Offensive des weit rechts stehenden ehemaligen Richters Ronald Schill eine Koalition ein. 2003 zerbrach die Koalition, danach errang von Beust zweimal hintereinander eine absolute Mehrheit.

Umgekehrt verlief es wiederum 2019 in Bremen. Da hatte die CDU mit 26,7 Prozent gewonnen, aber die SPD bildete mit ihren 24,9 Prozent, den Grünen mit 17,4 und nun auch unter Einschluss der Linkspartei mit 11,3 Prozent die Regierung.

Für die FDP war es besonders knapp

Auch ähnlich knappe Wahlergebnisse wie jetzt in Berlin zwischen SPD und Grünen hat es schon gegeben, beispielsweise in Hessen im Jahr 2018. Damals erhielten SPD und Grüne jeweils 19,8 Prozent der Wählerstimmen, wobei auf die Grünen 570.512 Stimmen und auf die SPD 570.446 Stimmen entfielen.

Im Bund gab es 2002 ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröders SPD und der Union, für die Edmund Stoiber angetreten war. Beide kamen auf 38,5 Prozent der Stimmen, die Differenz betrug am Ende nur etwa 6000 Stimmen zugunsten der SPD. Schröder konnte seine Koalition einstweilen fortsetzen.

Nicht ganz so knapp fiel das Ergebnis 2005 aus, auch wenn Schröder sich noch in der „Elefanten-Runde“ seines Sieges so sicher war, dass er seine Herausforderin Angela Merkel mit entlarvender Herablassung behandelte. Am Ende kam die Union auf 35,2 Prozent und die SPD auf 34,2 Prozent. Merkel löste Schröder als Bundeskanzlerin in einer großen Koalition ab.

Einen besonderen Fall schuf die FDP 2019 in Thüringen: Sie übersprang mit nur 73 Stimmen mehr als notwendig die Fünf-Prozent-Hürde – und stellte kurz darauf mit Thomas Kemmerich auch noch den Ministerpräsidenten mit der kürzesten Amtszeit aller Bundesländer.

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