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#Wie sich die Ampel als Fortschrittskoalition verkauft

Wie sich die Ampel als Fortschrittskoalition verkauft

Die historische Parallele, die sich der künftige Kanzler da zurechtgelegt hatte, wirkte auf den ersten Blick ein bisschen weit hergeholt. Vor fast genau 97 Jahren, am 15. Dezember 1924, sei am Potsdamer Platz in Berlin die erste deutsche Verkehrsampel in Betrieb gegangen, erläuterte Olaf Scholz während der Vorstellung seines Koalitionsvertrags am Mittwoch.

Ralph Bollmann

Korrespondent für Wirtschaftspolitik und stellvertretender Leiter Wirtschaft und „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

„Kann das funktionieren?“, hätten die Leute zuerst gefragt. Doch dann habe sich gezeigt, dass die Lichtsignalanlage, wie es im Amtsdeutsch heißt, die Dinge klar regeln und für Orientierung sorgen könne.

Eine „ähnlich wegweisende Rolle“ könne nun die sogenannte Ampelkoalition für Deutschland spielen – wobei unklar blieb, ob die Leute tatsächlich bei Rot stehen, bei Grün gehen und bei Gelb Obacht geben sollen.

Lichtzeichen auf dem Potsdamer Platz

Die Geschichte, die der Sozialdemokrat Scholz damit erzählen wollte, war eine Geschichte des Fortschritts. Die Ampel auf dem Potsdamer Platz, deren Nachbildung heute etwas verloren wirkt zwischen den Glühweinständen des derzeit noch geöffneten Weihnachtsmarkts.

Sie gilt als Symbol der „Roaring Twenties“, jener kurzen Zeitspanne zwischen den Weltkriegen, in der sich Deutschland für die Moderne öffnete, technologisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Und für alle, die es noch nicht verstanden hatten, fügte Scholz hinzu: „Wir wollen mehr Fortschritt wagen.“

So steht es auch auf dem Titelblatt des Koalitionsvertrags, den das „Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ schließen will, aber mehr noch ist das natürlich eine Anspielung auf die längst legendäre Regierungserklärung Willy Brandts aus dem fernen Jahr 1969.

Damals hatte der erste sozialdemokratische Kanzler im Bündnis mit den Liberalen zwar auch schon eine Reform der Bundesbahn angemahnt, die künftig „einem Wirtschaftsunternehmen vergleichbar“ geführt werden solle, vor allem aber einen großen gesellschaftlichen Aufbruch angekündigt: „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“

Der Begriff wurde mit Bedacht gewählt

Manche Spötter, auch innerhalb der Regierungsparteien, tun das als einen Marketing-Gag ab, als ein vermeintlich werbewirksames Label, das halt nachts um halb drei noch irgendwie auf den Koalitionsvertrag aufgeklebt worden sei, wie man eben 2018 vom „neuen Zusammenhalt“ sprach, 2013 „Deutschlands Zukunft gestalten“ wollte oder 2009 mehr „Wachstum, Bildung, Zusammenhalt“ in Aussicht stellte. Aber so ist es nicht. Die Koalitionsspitzen haben sich sehr früh und sehr ernsthaft mit dem Fortschrittsbegriff auseinandergesetzt, sich am Ende sehr bewusst für ihn entschieden.

Das ist zunächst einmal erstaunlich in einem Land, in dem schon seit Jahrzehnten kaum noch jemand an so etwas wie Fortschritt glauben mag. Schon seit Langem äußert eine solide Mehrheit der Bevölkerung in Umfragen die Ansicht, dass „die jüngere Generation es nicht mehr so gut haben wird wie wir“: 76 Prozent waren es erst jüngst in einer Studie des Rheingold-Instituts, das in Tiefenbohrungen die Mentalität der Deutschen zu erforschen sucht.

Die Deutschen, so Institutschef Stephan Grünewald, sähen zwar „den dringenden Wandlungs- und Handlungsbedarf“, sie seien aber gleichzeitig „zu angstvoll oder zu bequem, um ihn in eine entscheidende Handlungsbereitschaft zu überführen“. Wenn man einem Buchverlag zuletzt ein Manuskript über das Fortschrittsthema anbot, konnte man sich die kühlstmögliche Abfuhr holen: Fortschritt? In Deutschland unverkäuflich!

Merkel kapitulierte vor der Fortschrittsskepsis

Die scheidende Kanzlerin, die einst als Reformerin gestartet war, hatte vor dieser Haltung über lange Zeit kapituliert. Ihr Ehemann Joachim Sauer äußerte jüngst am Rande eines wissenschaftlichen Termins in Turin, das deutsche Impfdesaster sei auf eine „gewisse Faulheit und Bequemlichkeit der Deutschen“ zurückzuführen.

Damit dürfte er ziemlich genau die Haltung Angela Merkels wiedergegeben haben: Auch sie hielt ihre Landsleute allem Anschein nach für zu bequem, verdankte dieser Bequemlichkeit aber ihre stete Wiederwahl. Das war das große Paradoxon ihrer Kanzlerschaft.

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