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#Wir sollen die Unterdrücker gewesen sein?

Wir sollen die Unterdrücker gewesen sein?

Die Macht des Vaters überdauert. Der Junge spürt sie noch lange nach seinem Verschwinden, auch im fremden Land, in dem die Mutter, die Schwester und er Zuflucht gefunden haben. Seine Abwesenheit überstrahlt den Alltag der Familie, der kein Alltag mehr sein kann, weil alles, was ihn ausmachte, von den bestickten Tischdecken und bis zur roten Erde, verloren ist. Wieder und wieder kehrt der Junge zurück zu dem Moment, als der Vater, der immer alles im Griff hatte, die Kontrolle verlor, als Soldaten der Befreiungsarmee vor der Tür standen statt des Onkels, der die Familie zum Flughafen bringen sollte, und er die Pistole in einem letzten Versuch, die Seinen zu schützen, in der Tasche verbarg. Der Junge sieht den Schweiß auf dem Hemd des Vaters, hört dessen Lachen, das kein selbstbestimmtes Lachen mehr war. Dann fahren sie mit dem Vater davon.

Elena Witzeck

Der Junge ist mit der Familie nach Portugal gekommen, ins Mutterland, wie er es nennt, weil die Mutter dort geboren ist und er nicht mehr mit ihm verbindet als die schwarzweißen Fotografien hübscher Mädchen aus den Erinnerungsalben. Mädchen mit Kirschen an den Ohren, wie es sie in seiner Heimat Angola nicht gibt. In Angola surrte der Ventilator, dort wurde das Fleisch in der Hitze binnen Stunden schlecht, dort waren seine Freunde, sein Hund, die Schule. Nichts davon ist geblieben. Als sie den Vater zurücklassen mussten, als ihn die Soldaten mitnahmen, waren die Häuser der Weißen in der Nachbarschaft längst besetzt, die Freunde und Bekannten geflohen oder getötet.

Der Junge kann nichts dafür, in diese Zeit geboren zu sein, die ihn 1975 mit fünfzehn Jahren seiner Privilegien beraubt. Er kann nichts für seinen Vater, den Kolonisten, der die Schwarzen abfällig „Matumbos“ und „Pretalhada“ nannte, Dummköpfe und Gesocks, und alles verbrennen wollte, bevor auch nur eines seiner Besitztümer in die Hände der künftigen angolanischen Nation fiele. Er hat die Vorurteile längst aufgesogen, auch die unbewussten, ist mit ihnen herangewachsen: Wenn man einen Jungen auf dem Fußballplatz „Scheiß-Preto“, Scheiß-Schwarzer, nennt, ist das doch keine Beleidigung. Wer foult, hat das verdient. Sie haben ihn verprügelt. Danach spielte er nie wieder mit ihnen. Der Junge glaubt, ihn unter den Soldaten, die seinen Vater mitnahmen, wiedererkannt zu haben.

Dulce Maria Cardoso 2017 in Lissabon


Dulce Maria Cardoso 2017 in Lissabon
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Bild: Picture-Alliance

Dulce Maria Cardoso ist 1964 geboren und wuchs in Angola auf, sie gehört zu den angesehensten Schriftstellerinnen Portugals. Am Beginn des Bürgerkriegs kam sie nach Portugal, damals war sie elf. Ihr endlich auf Deutsch übersetzter Roman „Die Rückkehr“ handelt von diesen Kindheitserfahrungen, dem Verlust der Heimat, den Rollenkonflikten. Was sie mit Hilfe des Jungen Rui nacherzählt, überraschte bei der Veröffentlichung 2011 auch ihre portugiesischen Leser, so sehr waren die siebziger Jahre im Gedächtnis des Landes von den Ereignissen der Nelkenrevolution vereinnahmt, die Salazars autoritäres Regime beendete, und von der Verarbeitung des Traumas der Diktatur. Die neue, zunächst provisorische Regierung entschied, die verbliebenen Kolonien in die Unabhängigkeit zu entlassen. Was in Guinea-Bissau und Moçambique verhältnismäßig friedlich ablief, war in Angola der Beginn eines jahrzehntelangen Bürgerkriegs, in dem etwa 500 000 Menschen starben und 2,5 Millionen vertrieben wurden – auch viele Angolaner.

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