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#Wortschatz und Lüften in Corona-Zeiten: Flau im Magen

Wortschatz und Lüften in Corona-Zeiten: Flau im Magen

Wer einmal in Großbritannien gelebt hat, weiß, dass die Engländer – und erst recht die Schotten – mit den Eskimos verwandt sein müssen. Kälte kümmert sie nicht. Bei Temperaturen und Niederschlägen, die den Europäer veranlassen, zur Thermounterwäsche mit Frostschutzeinlagen zu greifen, holt der Inselbewohner die Shorts aus dem Schrank und sich sogar noch im Schneesturm einen Sonnenbrand. Jede Form der Heizung, die über ein Glimmen im Kamin hinausgeht, betrachtet das abgehärtete Albion als Zeichen kontinentaler Verweichlichung. Und auch von modernem Schnickschnack wie der Isolierverglasung hält man auf der vereinigten Eisscholle nichts. Die Schiebefenster aus Queen Victorias Zeiten sind ja in der Tat viel hübscher, ganz besonders im Winter, wenn auf ihren hauchdünnen Scheiben die Eisblumen blühen.

Berthold Kohler

Vor diesem zugigen Hintergrund muss es die Engländer faszinieren, dass die deutschen Panzerglasfenster so dicht halten wie die Mitglieder der Mafia. Einen Mordsspaß bereitet den britischen EU-Flüchtlingen auch die Inbrunst, mit der wir Deutsche uns nun der Kunst des richtigen Lüftens widmen. Dabei war deren Beherrschung schon vor Ausbruch der Seuche überlebenswichtig, jedenfalls in dreifach verglasten Passivhäusern.

Nun aber wird hierzulande erst recht gelüftet, was die Fensterangel hergibt. Das nahm kürzlich die schon lange in Deutschland lebende „Guardian“-Korrespondentin zum Anlass, ihre Leser auf der Insel über den fundamentalen Unterschied zwischen „Stoßlüften“ und „Querlüften“ aufzuklären. Sie machte ihre Landsleute auch mit dem deutschen Wort „Luftbewegung“ vertraut – wobei zu hoffen bleibt, dass man in Großbritannien jetzt nicht wieder einen Angriff der Luftwaffe befürchtet, mit dem etwa noch in letzter Sekunde der Brexit verhindert werden soll. Solche Blitz-Assoziationen fallen dem Engländer ja viel leichter als uns. Welcher Deutsche denkt beim Stoß- und Querlüften denn noch an Stoßtrupp und Querschläger?

Die Gefahr von Missverständnissen gibt es aber auch im innerdeutschen Diskurs. Deswegen sagen jetzt so viele Politiker, man müsse dem Volk das mit der Pandemie noch viel besser erklären. Wir würden als Erstes vorschlagen, mal kräftig den Wortschatz durchzulüften. Fremdwörter wie Inzidenz und Resilienz riechen schon sehr nach Pestilenz. Und auch mit Abkürzungen sollte man vorsichtig sein. Die AHA-Regeln hat ja noch jeder verstehen können. Aber nun sind wir schon bei AHALC angekommen. Wenn die Ministerpräsidenten noch ein paar Mal mit der Kanzlerin tagen, ist es bis zu AHALCUVWXYZ nicht mehr weit. Wie leicht zu verstehen war dagegen das Beherbergungsverbot! Allerdings fehlte den Gerichten das Verständnis.

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Zu bedenken ist auch, dass manche Begriffe psychosomatische Wirkung entfalten. Anders ist es kaum zu erklären, dass schon wieder das Klopapier ausverkauft ist, kaum dass abermals von der entfernten Möglichkeit eines „Lockdowns“ gesprochen wurde. Man hätte ja die leise Hoffnung haben können, dass bei diesem Wort all jene, die im Englischunterricht hin und wieder aufgepasst haben, an eine Verriegelung im unteren Bereich, vulgo Darmverschluss, denken. Doch scheinen die Rollen-Hamsterer das genaue Gegenteil zu befürchten. Und dann täte Lüften (Stoß-, keinesfalls Quer-!) ja wirklich not. Zu allem Überfluss ist auch noch von einer „exponentiellen“ Gefahr die Rede. Bei dieser Vokabel wird vielen Deutschen noch Jahrzehnte nach der Schule flau im Magen. Das lässt sich kaum ausbügeln, auch nicht mit Söders Seerosen-Gleichnis.

Ist die abermalige Klopapierknappheit, die Supermärkte abermals zu einer Klopapierrationierung zwang, ein weiterer Beleg für die in der angelsächsischen Welt sprichwörtliche „German Angst“? Das fänden wir beruhigend. Denn dann wäre es ja weder der Globalisierung noch der Digitalisierung, noch dem Framing, noch dem Gender Mainstreaming, ja noch nicht einmal der Cancel Culture gelungen, uns schon alle nationalen Eigenheiten auszutreiben.

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