Nachrichten

#Auf dem Flachwagen eines Güterzugs

„Auf dem Flachwagen eines Güterzugs“

Eine Besucherschlange hat sich am Eingang des Kunstmuseums Den Haag gebildet, wie sich das traditionsreiche Ge­meentemuseum seit einiger Zeit nennt, Zugnummer sind die Plakate und Illustrationen des Jugendstilkünstlers Alfons Mucha aus der Zeit des Fin de Siècle. Dessen Werkschau ist denn auch überlaufen. Gut besucht ist aber auch eine andere Ausstellung im Haus, sie hat das Gegenteil von ornamentaler, verspielter Schönheit zu bieten: „Boris Lurie & Wolf Vostell – Kunst nach Auschwitz“.

Es sind Bilder, Collagen und Objekte, die dem Publikum einiges zumuten, sie stellen Gewalt und Pornographie dar, verführen zu einem Voyeurismus, den sie zugleich brüsk zurückweisen und als pervers demaskieren, sind Ausdruck einer aufklärerischen Obsession, die einer versöhnlichen Läuterung den Weg abschneidet. Man möchte weder hinschauen noch wegschauen. So lassen die verstörenden Werke ihre Betrachter, darunter viele Jugendliche, in einer Verhaltenheit zurück, die mit Händen zu greifen ist.

Lurie und Vostell, beide jüdischer Herkunft, verband seit den frühen Sechzigerjahren eine lange Freundschaft, die Doppelausstellung führt sie erstmals mit Briefen und Fotos zusammen, vor allem aber mit ihren Werken, die sich inhaltlich und formal ergänzen; in beider Œuvre radikalisiert sich noch einmal die politische Collage, wie sie aus der Weimarer Republik von Hannah Höch, Raoul Hausmann und John Heartfield bekannt ist. Wer 2016 Luries Retrospektive im Jüdischen Museum in Berlin gesehen hat, wird die Schockwirkung dieser Bilder nicht vergessen haben – namentlich die Arbeiten, in denen Lurie Fotografien von aufgetürmten Leichen aus befreiten Konzentrationslagern mit entkleideten Frauen in lasziven Posen aus erotischen Magazinen zusammenzwingt, in einem Fall auch noch ein Firmenlogo für Haarwaschmittel hinzufügt. Man wird nicht fertig mit diesen Werken, ihre Wucht trifft einen auch dann, wenn man darauf vorbereitet ist.

Boris Lurie, Combat, 1951


Boris Lurie, Combat, 1951
:


Bild: Boris Lurie Art Foundation

Die „gebrochene Weiblichkeit“

Eine Aufnahme mit Ermordeten auf dem Flachwagen eines Güterzugs versieht Lurie 1962 mit einem makabren Titel: „Flatcar, Assemblage, 1945 by Adolf Hitler“. In Riga hatte Lurie im Winter des Jahres 1941 erlebt, wie die Wehrmacht bei Massenerschießungen im Wald von Rumbula seine Mutter, eine seiner beiden Schwestern, seine Großmutter und seine glühende Jugendliebe Ljuba hingerichtet hatte. Danach überlebte er mit dem Vater die Haft in den Arbeitslagern Lenta und Salaspils (beide bei Riga) und den Konzentrationslagern Stutthof und Buchenwald. Mit seiner Kunst zielte der 1924 in Leningrad geborene Künstler, nachdem er 1946 nach New York ausgewandert war, frontal auf die westliche Gesellschaft, ihren Kunstbetrieb, ihre Verdrängung und Selbstbetäubung durch Konsum.

Ausführlicher als in Berlin zeigt die Haager Werkschau Luries Bilder von Frauen aus den Fünfzigerjahren, die geknebelt, deformiert, wenn nicht gar zerstückelt ins Bild gesetzt sind – sie entstanden zur selben Zeit wie Willem de Koonings umstrittene „Women“, allerdings nicht in einem bewunderten „Grand Style“, sondern stilistisch sprunghaft, mal linear, dann malerisch akzentuiert, bisweilen wie Pop-Art avant la lettre oder an Francis Bacon orientiert. In einem couragierten Katalogessay begründet die Kunsthistorikerin Katharina Sykora diese „gebrochene Weiblichkeit“ als „Gegenbild einer herkömmlichen Ästhetik des Schönen“, die in „Störfaktoren einer beruhigten, saturierten, sich in Sicherheit und Macht wiegenden, patriarchalen Nachkriegsgesellschaft“ umgewandelt werde. Da vor allem die Fotos aus Magazinen damals noch nicht frei zirkulierten (wie heute im Internet), forderte Lurie nicht nur das Publikum heraus, sondern auch die Institutionen, die so etwas hätten zeigen sollen.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!