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#Bauernprotest in Warschau: Was Polens Bauern so wütend macht

Die Böller krachen ohrenbetäubend, bengalisches Feuer wird entzündet. Die Wut von Polens Bauern ist groß. Auch Imker und Jäger solidarisieren sich mit ihnen. Ein Augenschein auf der Großkundgebung in Warschau.

Etwas ratlos wirken die vier Demons­tranten in der Unterführung im Zentrum von Warschau: Krystian, seine Schwester Katarzyna, Paweł und Grzegorz aus dem südpolnischen Landkreis Miechów. Allein sind sie nicht. Hunderte Menschen drängen mit noch eingerollten Nationalfahnen und Transparenten vorwärts. Wo geht es hier bitte zum Kulturpalast?

Der wuchtige Bau aus der Epoche des Stalinismus wird an diesem Dienstag Kulisse sein für einen „Sternmarsch“ von Demonstranten aus ganz Polen, hauptsächlich Landwirten. Auf dem Platz davor haben Busse geparkt, mehrere Tausend Menschen haben sich lange vor Beginn versammelt. Einige Bauern machen Lärm. Böller krachen ohrenbetäubend, kräftige Männer holen tief Luft und blasen in ihre knallroten Tröten hinein. Dazu wird bengalisches Feuer entzündet, wie es zur polnischen Demo-Folklore gehört. Zu Gewalt kommt es offenbar nicht.

Seit Monaten protestieren Landwirte in Polen. Zunächst ging es gegen zollfreie und angeblich „unkontrolliert einströmende“ Agrarimporte aus der Ukraine, in den vergangenen Wochen auch gegen den „Green Deal“ der Europäischen Union. Krystian, 30 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, hat vor elf Jahren den Hof seines Vaters übernommen. Damals waren es 30 Hektar, heute bewirtschaftet er schon hundert. Er hat bereits in seiner Heimatregion demonstriert, nun ist er deswegen nach Warschau gekommen.

Krystian macht keine großen Worte, als er überlegt, ob der Hauptgrund seiner Unzufriedenheit die EU oder die Ukraine ist. „Beides“, sagt er. Vor allem sind es wohl die Preise, die ihm das Leben schwer machen. „Vor dem Krieg (in der Ukraine) haben wir guten Weizen zu 900 Złoty (umgerechnet 210 Euro) verkauft. Jetzt liegt der Kaufpreis bei 580 Złoty.“ Die andere Seite sind die Ausgaben: „Vor dem Krieg kostete Stickstoffdünger 900 Złoty, jetzt sind es 1800. Vieles ist deutlich teurer geworden: Pflanzenschutzmittel, Treibstoff, alles Mögliche. Und die Steuern für die Bauern sind in diesem Jahr erhöht worden.“

Ein Bauernführer ist nun Staatssekretär

Liegt das mit den Steuern noch an der alten, nationalkonservativen Regierung oder an der seit Dezember amtierenden neuen, liberalen? Krystian schaut seine Schwester fragend an, Katarzyna blickt ratlos zurück. Sie wissen nur eines: „Zu Politik wollen wir uns nicht äußern. Wir gehen immer wählen, aber dazu sagen wir nichts.“

Mit dem Namen Michał Kołodziejczak können sie natürlich etwas anfangen. Der 35 Jahre alte Landwirt und einstige Kommunalpolitiker hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht als radikaler Bauernführer. Wenn Polens Landwirte der Schuh drückte, griff er das Thema auf und organisierte Straßenblockaden. Oft konnte man von ihm populistische Parolen hören. Vor den Parlamentswahlen im Herbst änderte sich das Bild. Kołodziejczak suchte politisch Anschluss, um mit seiner „Agrounion“ wenigstens ein paar Parlamentssitze zu erobern. Die Fünfprozenthürde war außer Reichweite, doch Oppositionsführer Donald Tusk, der jetzige Regierungschef, bot ihm überraschend ein paar Listenplätze an. Jetzt ist er Abgeordneter und Agrarstaatssekretär.

Paweł, Katarzyna, Krystian und der Jäger Grzegorz vor dem Kulturpalast in Warschau


Paweł, Katarzyna, Krystian und der Jäger Grzegorz vor dem Kulturpalast in Warschau
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Bild: Gerhard Gnauck

Auf die Frage hin, ob er es schafft, unzufriedene Bauern zu besänftigen, ihnen die Regierungspolitik zu erklären oder gar ihre Interessen zu vertreten, schauen sich die Demonstranten an und grinsen. Dann sagt Paweł: „Ich denke, Kołodziejczak weiß vor allem, wie man an Geld kommt.“ Sein Wandel vom Bauernaktivisten zum etablierten Regierungsmitglied weckt offenbar auch Misstrauen.

Krystian wirkt nicht wie ein EU-Gegner. Doch Brüssels Klima- und Agrarpolitik bürde den Bauern immer neue Aufgaben auf. Als Beispiel nennt er die kürzlich ausgesetzte Richtlinie, einen kleinen Teil des Landes brachliegen zu lassen. „Wir haben gutes Land und dürfen es nicht bebauen.“ Außerdem machten Zertifizierungen der Produkte, Register, Schulungen „viel Papierarbeit“. Oft müsse man mehr reinstecken, als man von der EU bekomme. Durch die Maßnahme der Gemeinschaft, den Agrarhandel aus Solidarität mit der Ukraine zu liberalisieren, sagt der Landwirt, sei Ware ins Land gekommen, welche die EU-Normen nicht erfülle, und sie habe die Preise gedrückt.

Auch ein deutscher Bauernvertreter spricht

Ein anderer junger Demonstrant, Kacper, Kleinbauer aus der Gegend von Lublin, erzählt, er habe am Wochenende zwei Nächte am von Landwirten blockierten Grenzübergang nahe Dorohusk verbracht. „Ich habe die Gleise gesehen, wo Protestierer Raps aus zwei ukrainischen Waggons ausgekippt haben. Aber später war dann schon viel Polizei und Bahnpolizei im Einsatz, die haben niemanden mehr zu den Gleisen durchgelassen.“

Nicht nur Bauern sind am Dienstag in Warschau auf der Straße. Auch Imker in ihrer Schutzkleidung sind mit Transparenten unterwegs. „Stoppt den Import von Honig“ steht drauf, eine Forderung, die sich vor allem gegen die Ukraine richtet. Dazu grün gekleidete Jäger wie Grzegorz, der sich gegen den „Ökoterror“ der Umweltschützer wendet, gegen das unkontrollierte Wachsen der Wolfspopulation sowie gegen eine Regelung der PiS-Regierung, die es verbot, Minderjährige auf die Jagd mitzunehmen. „Die Eltern wissen doch, was für ihre Kinder gut ist, oder nicht?“

Vor dem Kulturpalast spricht auch ein deutscher Bauernvertreter. „Ich möchte euch unseren Dank aussprechen“, ruft er ins Mikrofon. „Ihr blockiert die Grenze zur Ukraine auch für uns.“ Er kritisiert, dass das ukrainische Getreide seit 2022 durch Polen weiter „in die Dritte Welt gelangen sollte, aber dann ist es in der EU hängen geblieben und hat uns die Preise versaut“.

Die Proteste sollen noch wochenlang weitergehen, obwohl nicht absehbar ist, inwieweit die Bauern dauerhaft auch andere Berufsgruppen mobilisieren können. Polens Bauernschaft ist zahlreich und selbstbewusst. Die Politik behandelt sie mit Samthandschuhen. Tusk sagte am Dienstag, man wolle der Ukraine helfen, aber nicht mit Methoden, die „für ganze Wirtschaftsbereiche mörderisch sind“. Parlamentspräsident Szymon Hołownia empfing Demonstranten und versprach einen „Runden Tisch“.

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