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#Die Fortschritte der Ampel

„Die Fortschritte der Ampel“

Diesmal formulierte der Kanzler etwas vorsichtiger. „Wir wollen mehr Fortschritt wagen“, hatte er vollmundig vor einem Dreivierteljahr gesagt, bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags zwischen SPD, Grünen und FDP. Auf seiner ersten Sommer-Pressekonferenz, nach gut acht Monaten des Regierens, klang es jetzt zurückhaltender. „Das Thema, Fortschritt in Deutschland zu bewerkstelligen, steht unverändert als große Aufgabe für uns an“, formulierte er etwas umständlich. Außenpolitisch allerdings mache er sich nichts vor, fügte er noch hinzu: Russlands Angriff auf die Ukraine sei ein Rückfall in „Kategorien des 17., 18. und 19. Jahrhunderts, in imperialistische Machtpolitik“. Dieser Zusatz klang dann überhaupt nicht mehr nach Fortschritt.

Ralph Bollmann

Korrespondent für Wirtschaftspolitik und stellvertretender Leiter Wirtschaft und „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Kaum eine Regierung sah sich so kurz nach Amtsantritt mit einem so umfassenden Wandel ihrer Geschäftsgrundlage konfrontiert wie das Ampelbündnis mit dem Krieg, der zweieinhalb Monate nach ihrer Vereidigung begann. Gewiss, Gerhard Schröder musste nach seiner Wiederwahl 2002 notgedrungen auf Agenda-Kurs umschwenken. Angela Merkel sah sich kurz nach der Wahl 2009 mit der Eurokrise und bald nach der Regierungsbildung 2013 mit der russischen Annexion der Krim konfrontiert. Aber der Versuch eines europäischen Staates, ein Nachbarland gleichsam auszulöschen, hat dann doch eine andere Qualität, samt aller ökonomischen Konsequenzen, die daraus folgen. Es ist schwer geworden, das immerwährende Fortschreiten des Menschengeschlechts zum Höheren und Besseren in den aktuellen Ereignissen wiederzuerkennen.

Dabei hatte es im vorigen Jahr durchaus Anhaltspunkte dafür gegeben, dass in der Ampelkoalition zusammenfand, was zusammengehörte. Historisch betrachtet, waren sich Sozialdemokraten und Liberale seit ihrer parteipolitischen Formierung im 19. Jahrhundert zumindest in einem immer einig gewesen: in ihrem Glauben an den Fortschritt. Dass die Entfesselung der kapitalistischen Kräfte gegenüber dem statischen System des alten Feudalismus ein Gewinn sei, davon war auch ein Karl Marx überzeugt. Und die liberale Überzeugung, man müsse dem Spiel der Kräfte nur freien Lauf lassen, damit sich das Blatt zum Besseren wende, teilten am Vorabend des Ersten Weltkriegs in gewisser Weise sogar die Sozialdemokraten: Man dürfe den „großen Kladderadatsch“, wie der legendäre Vorsitzende August Bebel den Zusammenbruch des Kapitalismus nannte, nicht aktiv durch eine Revolution herbeiführen, man müsse bloß auf ihn warten. Spätere Historiker bezeichneten diese Haltung als „revolutionären Attentismus“.

Die Grünen tun sich mit der Zeitenwende leichter als FDP und SPD

Die Grünen standen auf der anderen Seite, zumindest während ihrer Gründungsphase in den späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Sie neigten einem altkonservativen Geschichtspessimismus zu, der die Moderne eher als einen Verfallsprozess sah. Mochten sich die Achtundsechziger noch gegen den „Muff von tausend Jahren“ gewandt haben, so richtete sich der Protest der nachfolgenden Grünen-Generation gegen den Modernisierungsfuror der sozialliberalen Regierungen in den Siebzigerjahren. Dass gesellschaftliche Emanzipation einhergehen müsse mit dem Bau von Stadtautobahnen und Atomkraftwerken, dass das Glück in der lichtdurchfluteten modernen Sozialwohnung liege und nicht im Altbau mit seinem Kohlenqualm: Das wollten die Grünen nicht akzeptieren.

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