Nachrichten

#Eine Partei auf der Anklagebank

Eine Partei auf der Anklagebank

Nachdem das türkische Verfassungsgericht am 31. März aus formalen Gründen einen Antrag auf Verbot der prokurdischen Oppositionspartei HDP zurückgewiesen hatte, hat am Montag im Hochsicherheitsgefängnis von Sincan nahe Ankara ein Massenprozess gegen 108 Politiker und Mitglieder der HDP begonnen. Der Prozessauftakt fand unter einem massiven Polizeiaufgebot statt und war von Tumulten begleitet. Als hundert Verteidigern der Zutritt zum großen Sitzungssaal verweigert wurde, weil ihre Plätze von Nebenklägern eingenommen worden waren, verließen alle Verteidiger unter Protest den Saal.

Rainer Hermann

Das Verfahren gegen die 108 Angeklagten gilt als Schlüsselprozess, da er zur Ausschaltung der politischen Vertretung der Kurden in der Türkei führen könnte. Denn die Anklagepunkte spielen auch im Verbotsverfahren gegen die HDP eine herausragende Rolle. Angeklagt ist der gesamte HDP-Vorstand von 2014, auch die damaligen Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag. Sie sind seit November 2016 wegen Terrorvorwürfen in Haft. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte im Dezember 2020, Demirtas sei aus politischen Gründen inhaftiert, und forderte seine Freilassung.

38 Angeklagten droht lebenslange Haft

Die 3520 Seiten umfassende Anklageschrift wirft den Angeklagten 29 Straftatbestände vor, darunter versuchten Mord, Totschlag und Sachbeschädigungen. Im Vordergrund steht der Vorwurf, sie hätten vom 6. bis 8. Oktober 2014 in sozialen Medien zu gewaltsamen Protesten aufgerufen, in deren Zug 37 Menschen getötet worden seien. Zudem hätten sie mit ihren Aussagen die Integrität des Staats untergraben und seien an terroristischen Handlungen beteiligt gewesen. Die Anklage fordert für 38 Angeklagte lebenslange Haft unter erschwerten Bedingungen.

Wissen war nie wertvoller

Sichern Sie sich mit F+ 30 Tage lang kostenfreien Zugriff zu allen Artikeln auf FAZ.NET.

JETZT F+ LESEN


Fahrettin Altun, der Kommunikationsdirektor des türkischen Präsidenten Erdogan, sagte am Montag, die Angeklagten hätten im Auftrag der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK gehandelt. Den Eindruck, dass es eine Verbindung zwischen der HDP und der PKK gebe, soll offenbar auch die gleichzeitig mit dem Prozessauftakt stattfindende Luft- und Landoffensive der türkischen Streitkräfte gegen Stellungen der PKK im Nordirak vermitteln. Ruken Gülagaci, einer der Verteidiger, wertet denn den Prozess auch als Versuch, die HDP mit der PKK in Verbindung zu bringen. Die Vorwürfe seien jedoch aus der Luft gegriffen. Bekannt ist, dass sich die Staatsanwaltschaft auf anonyme Zeugen und auf Tweets von gefälschten oder gekaperten Accounts stützt. Sie wurden von Leuten geschrieben, die sich als den damaligen Ko-Vorsitzenden Demirtas ausgegeben haben.

Versucht Ankara, die HDP aus der Politik zu drängen?

Mahsuni Karaman, ein anderer Verteidiger, wertet den Prozess als Rechtfertigung für die Fortsetzung des HDP-Verbotsverfahrens. Mithat Sancar, der heutige Ko-Vorsitzende der Partei, sagte am Montag vor dem Hochsicherheitsgefängnis, der Prozess solle „den Glauben an die Demokratie, die Hoffnung auf Freiheit und die Sehnsucht nach Frieden in der Türkei zerstören“. Man werde sich jedoch weiter für Demokratie und Frieden einsetzen. Zuvor hatte er der F.A.Z, gesagt, die Regierung benutze im Verbotsverfahren wie auch in diesem Prozess die Justiz als Instrument, um die HDP aus der Politik zu vertreiben. Er kritisiert, dass die HDP im Parlament eine Untersuchung der Vorfälle im Oktober 2014 beantragt habe, was die Regierungsmehrheit stets abgelehnt habe.

Damals stand der IS vor der Eroberung der syrisch-kurdischen Stadt Kobane und drohte mit Massakern an der Bevölkerung. Zunächst forderten in der Türkei insbesondere die Kurden von der Regierung in Ankara, einen Grenzkorridor zu öffnen, um die dortige Bevölkerung mit Waffen und humanitären Gütern zu versorgen. Die lehnte das aber ab und ließ die Grenze militärisch verriegeln, was ihre Kritiker als Unterstützung des IS betrachtet haben. Kobane hätte, so die Sichtweise der Regierungskritiker, von der türkischen Grenzstadt Suruc aus leicht versorgt werden können.

Die HDP rief daraufhin zu friedlichen Protesten auf, die sich landesweit ausbreiteten. Bei Zusammenstößen seien dabei 43 Menschen getötet worden, erklärte die HDP. 27 hätten der Partei angehört. Erst auf Druck der internationalen Anti-IS-Koalition, die eine Luftbrücke nach Kobane schuf, änderte Ankara seine Politik, so dass Kobane nicht in die Hände des IS fiel.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!