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#Einmal rund um Absurdistan

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Einmal rund um Absurdistan

Milchkannen, Kochtöpfe, Waschbretter, Schädlingsspritzen, Gießkannen, Blaubeerkämme, Fassadenornamente, Regenrinnen: Die alten Exponate im Industrie- und Geschichtsmuseum Vieille Montagne im ostbelgischen Städtchen Kelmis schimmern in blaugrauem Zink. Aus heutiger Sicht mögen die Alltagsgegenstände unspektakulär wirken, Anfang des neunzehnten Jahrhunderts aber waren sie eine spektakuläre Innovation. Denn die Erfindung eines speziellen Reduktionsofens machte zum ersten Mal eine Verhüttung des Zinkspates möglich, womit die Nachfrage nach diesem Rohstoff – rostfrei, wasserunempfindlich und leicht zu verarbeiten – in schwindelnde Höhen stieg. Robuste Badewannen, Kohleneimer und Schüsseln konnten nun preiswert und in großen Mengen produziert werden. „Die Dächer der Haussmann-Boulevards in Paris wurden fast alle mit Zinkblech aus Kelmis gedeckt“, sagt Museumsleiterin Céline Ruess und fügt hinzu, dass die Pariser Dachlandschaft gerade wegen ihrer einmaligen Zinkhauben Chancen hat, in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen zu werden.

Gravuren mit rauchenden Schloten und von Pferden gezogenen Loren dokumentieren, wie die Bergbaugesellschaft Vieille Montagne Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zum größten Zinkproduzenten der Welt wurde. Zwölf Gruben in Kelmis lieferten den Rohstoff, der aus dem seltenen gelbbraunen Mineral Galmei bestand. Das alte Direktionsgebäude, in dem das Museum untergebracht ist, war die Kommandozentrale des Betriebs. Céline Ruess ist stolz auf ihr denkmalgeschütztes Haus: „Die Jugendstilpracht des Gebäudes zeugt vom erlesenen Architekturgeschmack der damaligen Grubenherren“, sagt sie und zeigt auf meisterhaft gefertigte Geländer mit blumigen Ornamenten, bunte Glasscheiben, Terrazzofußböden und mundgeblasene Deckenleuchten.

Streit um ein lukratives Territorium

Der Zink-Boom in Kelmis hatte eine folgenreiche Konsequenz, führte er doch zu einem der sonderlichsten Staatengebilde, die es je gegeben hat. Auf dem Wiener Kongress 1814 stritten sich die Niederlande und Preußen um dieses winzige, wegen seiner Erzvorkommen aber äußerst lukrative Territorium zwischen Aachen und Lüttich. Der Zank um Zink wurde zum Geschacher und gipfelte 1815 in der Gründung eines Mikrolandes, das als neutrales, nur dreieinhalb Quadratkilometer großes Gebiet von den Niederlanden und Preußen gemeinsam verwaltet wurde. Beide Mächte vergaben die ertragreichen Konzessionen für die Erzausbeutung und überließen die Aufsicht über das Areal zwei Kommissaren, die sich argwöhnisch beäugten.

Der Küsch hat immer gute Laune: Das Schweinchen mit Narrenkappe ist das Maskottchen des Kelmiser Karnevals.


Der Küsch hat immer gute Laune: Das Schweinchen mit Narrenkappe ist das Maskottchen des Kelmiser Karnevals.
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Bild: Rob Kieffer

Das Provisorium, das man mit wenigen Strichen auf der Landkarte eingegrenzt und Neutral-Moresnet getauft hatte, sollte sich mehr als hundert Jahre halten. Sein Hauptort, das unbekannte Kaff Kelmis, zählte 1816 nur zweihundertfünfzig Einwohner und fünfzig Häuser. Doch der enorme Arbeiterbedarf der Minen lockte viele junge deutsche, flämische, wallonische und niederländische Männer in das klitzekleine Zipfelchen Land. Hier waren sie überdies vom Militärdienst in ihren Heimatländern befreit, und da die Niederlande und Preußen sich nicht einigen konnten, gab es weder Einfuhr- noch Verbrauchssteuern. Die Bevölkerungszahl wuchs rasant, um die Jahrhundertwende wohnten im Sonderstaat von der Form eines Tortenstückes nahezu viertausend Menschen. Das Niemandsland sorgte auch für internationale Schlagzeilen. „Smallest state in the world“ titelte 1896 die New York Times, und die Deutsche Juristen-Zeitung wunderte sich vier Jahre später über den „Anachronismus“ dieses staatsrechtlichen Kuriosums. Nach kurzer deutscher Besetzung im Ersten Weltkrieg wurde mit den Versailler Verträgen von 1919 Neutral-Moresnet aufgelöst. Die daraus entstandene Gemeine Kelmis ist heute Teil der deutschsprachigen Ostkantone, die zu Belgien gehören.

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