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#Grüße aus der Zwangs-WG

Grüße aus der Zwangs-WG

Plötzlich sind alle dran. Junge Berliner feiern Partys, etwas ältere Berliner feiern Hochzeiten, und plötzlich fallen für alle Berliner die Herbstferien aus. Weil sich in Berlin inzwischen wöchentlich mehr als 50 von 100.000 Menschen mit dem Coronavirus infizieren. In keinem Bundesland werden sie mehr in die Hotels aufgenommen – es sei denn, sie befreien sich von dem Verbot mit Hilfe eines negativen Tests. In Berlin steht man dafür inzwischen Hunderte Meter lang an. Doch die Tests werden eigentlich für andere Leute gebraucht. Da ärgert sich so mancher, der schon immer besorgt beobachtet hat, wie unbesorgt so mancher andere mit dem Virus umgeht.

Patrick Bernau

Patrick Bernau

Verantwortlicher Redakteur für Wirtschaft und „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Ralph Bollmann

Ralph Bollmann

Korrespondent für Wirtschaftspolitik und stellvertretender Leiter Wirtschaft und „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Jetzt trifft es eben alle. Leute aus Berlin und aus Rosenheim, aus Frankfurt und aus Hamm. Das Beherbergungsverbot bestrafe „Familien, die wahrscheinlich am wenigsten zur Ausbreitung des Virus beitragen, sondern abends zu Hause bleiben und ansonsten den Betrieb am Laufen halten“, kritisiert die Soziologin Anke Hassel, die in Berlin an der Hertie School of Governance Staatstätigkeit lehrt.

Ist es legitim, die Rentnerin oder den Büroangestellten aus dem Homeoffice in Sippenhaft zu nehmen für 20-Jährige, die ohne Vorsichtsmaßnahmen nächtelang durchfeiern? Wer in Kreuzberg oder Frankfurt-Sachsenhausen wohnt, ist nicht schon allein deshalb ansteckend. Schließlich haben Experten oft genug betont, erst am Donnerstag wieder in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Gesundheitsminister Jens Spahn: Es kommt vor allem auf die Einhaltung der Vorsichtsregeln an, auf Abstand, Händewaschen, Atemschutz – sowie gerade im Herbst und Winter auf regelmäßiges Lüften. Wenn sich die allermeisten Infektionen auf diese Weise verhindern lassen, was sollen dann Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, die allein von der geographischen Herkunft abhängen?

Sippenhaft oder kollektive Verantwortung?

„Sippenhaft“ ist ein böses Wort, im Nationalsozialismus war damit zumeist die Verfolgung von Familienangehörigen der Regimegegner und Widerstandskämpfer gemeint. Umgangssprachlich hat es aber einen weiteren, harmloseren Sinn. Es geht schlichtweg darum, eine ganze Personengruppe in Mithaftung zu nehmen für das Verhalten einzelner Mitglieder.

Das Phänomen ist weiter verbreitet, als man denkt. Bei Versicherungen findet es Anwendung, in der polizeilichen Fahndung, bei der Gewährung von Krediten. Amerikanische Richter lassen sich gar auf dieser Grundlage von einem Computerprogramm beraten, ob sie Gefangene auf Bewährung entlassen sollen. In manchen Bereichen findet es gesellschaftliche Akzeptanz, in anderen nicht, und bisweilen wird es sogar eingefordert– vor allem dann, wenn die Mitglieder einer Gruppe von der Kollektivbehandlung keine Nachteile befürchten, sondern sich Vorteile erhoffen.

Ist das moralisch in Ordnung? Die Frage darf als offen gelten. Im Jahr 1968 legte der Philosoph Joel Feinberg eine Arbeit über kollektive Verantwortung vor. Manchmal würden ganze Gruppen für die Fehler Einzelner verantwortlich gemacht, stellte Feinberg schon damals fest. Das sei vor allem dann wirksam, wenn die Gruppen sich wirklich zusammengehörig fühlen – ein Kriterium, das im individualistischen Westen bei den vielen Bewohnern einer Stadt nicht unbedingt gegeben ist.

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