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#Die Gefahren der irrlichternden Kommunikation

Die Gefahren der irrlichternden Kommunikation

Mit ihrer Ankündigung, im äußersten Notfall und zur Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur ausnahmsweise auch symptomfreie Infizierte arbeiten zu lassen, hat Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) am Wochenende für viel Verwirrung gesorgt. Denn auch Berlin ist von einer Gefährdung der Wasser- und Stromversorgung nicht bedroht, und selbst in der Charité liegt der Krankenstand bei Ärzten und Schwestern auf einem Niveau, das die Krankenversorgung noch nicht ernsthaft gefährdet. Wer positiv getestet wurde, kann nicht zur Arbeit in die Klinik kommen. Daran will die Charité nach eigenem Bekunden auch nichts ändern.

Heike Schmoll

Politische Korrespondentin in Berlin, zuständig für die „Bildungswelten“.

Giffeys Einlassungen für den Fall der Fälle, der möglicherweise nie eintreten wird, sind nur ein Beispiel für das, was der Expertenrat in seiner am Sonntagabend veröffentlichten fünften Stellungnahme scharf kritisiert: eine irrlichternde Kommunikation. „Ein Mangel an Übereinstimmungen von verfügbaren Informationen, ihrer Bewertungen und den resultierenden Empfehlungen trägt zur Verunsicherung der Bevölkerung bei“ und „untergräbt das Vertrauen in staatliches Handeln“, heißt es darin. Diplomatisch bemäntelt, wirft der Expertenrat der Bundesregierung vor, chaotisch zu agieren, fordert die Ausrichtung am verfügbaren Wissen, beklagt aufs Neue das Fehlen von Daten und legt die Übersetzung der zentralen Daten, Statistiken und Kennzahlen in einer zielgruppenorientierten, verständlichen Form nahe.

Er empfiehlt außerdem, die kommunikativen Inhalte auf mehreren Kanälen zu verbreiten – auch auf sozialen Netzwerken. Widersprüchliche Aussagen seien zu vermeiden – konkret genannt werden die Gesundheitsämter, die vor einer Woche in Berlin für heilloses Durcheinander unter Eltern und Schulen gesorgt hatten, indem sie andere Teststrategien vorgaben als die damals noch gültigen der Gesundheitsverwaltung. In einer denkwürdigen Senatspressekonferenz mussten dann die zuständigen Senatorinnen für Gesundheit und Schule darauf hinweisen, dass die Teststrategie nicht so schnell habe geändert werden können. Und den Alleingang der Amtsärzte hat offenbar niemand verhindern können oder wollen.

„Verfassungsrechtlich nicht haltbar“

Die rasche Änderung sowie nicht ausreichend begründetes Umschwenken bisheriger Vorgehensweisen höhlen das Vertrauen der Bevölkerung zunehmend aus. Der Expertenrat kommt deshalb zu der wenig schmeichelhaften Schlussfolgerung, dass es in Deutschland keine Institution gibt, die eine den genannten Prinzipien folgende „Risiko- und Gesundheitskommunikation“ erfolgreich praktiziert. Dabei sind die Wissenschaftler realistisch genug zu wissen, dass Einheitsmeinungen in einer pluralistischen Gesellschaft ausgeschlossen sind, aber im „Rahmen dieser Vielfalt muss es eine fachlich fundierte und evidenzbasierte Gesundheitskommunikation geben, die von multidisziplinärer Fachexpertise entwickelt und umgesetzt wird“. Dazu müssen nicht nur die vorhandenen medizinischen Informationen zusammengeführt werden, sondern auch relevante Studien ausgewertet werden und verhaltensrelevante Aspekte wie „Maßnahmenakzeptanz“, Impfbereitschaft, Vertrauen regelmäßig beobachtet und ausgewertet werden.

Dass die Entscheidung über die Geltungsdauer des Genesenenstatus künftig dem Robert-Koch-Institut (RKI) überlassen wurde, hat nicht nur so manchen Genesenen vor vollendete Tatsachen gestellt. Denn seit dem 14. Januar gelten Infizierte nur noch drei statt bisher sechs Monate nach der Erkrankung als genesen. Bundestag und Bundesrat haben die Entscheidung darüber an das RKI delegiert. Für Abgeordnete gilt das allerdings nicht, eine Sonderregel verlängert deren Genesenenstatus weiterhin auf ein halbes Jahr, was von Rechtswissenschaftlern und Politikern schon mit deutlichen Worten kritisiert wurde.

Dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags erscheint das gesamte Verfahren zweifelhaft. Weil die Dauer des Genesenenstatus unmittelbar die Grundrechte der Betroffenen berührt und sie einschränkt, sieht der Wissenschaftliche Dienst den parlamentarischen Gesetzgeber gefordert. „Aufgrund der hohen Grundrechtsrelevanz erscheint das vollständige Überlassen der Regelung dieser Frage an die Exekutive kritisch“, heißt es in dem Gutachten, das der F.A.Z. vorliegt. So hat der Berliner Verfassungsrechtler Christoph Möllers es für „verfassungsrechtlich nicht haltbar“ erklärt, die Lösung dieser Frage in das Ermessen des Verordnungsgebers zu stellen. Überhaupt seien Fragen der Grundrechtsausübung nicht im Wege der Verordnung zu regeln, ohne dass der Gesetzgeber die wesentlichen Kriterien dafür vorgebe. Der Regensburger Rechtswissenschaftler Thorsten Kingreen urteilt ähnlich und meint: „Freiheitsrechte für Personen, bei denen von einer Immunisierung auszugehen ist, können aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in exekutives Ermessen gestellt werden. Sie gelten.“

Grundlage für die Regelung des Immunitätsnachweises ist Paragraph 28 c des Infektionsschutzgesetzes, der vorsieht, dass die Bundesregierung „für Personen, bei denen von einer Immunisierung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 auszugehen ist oder die ein negatives Ergebnis eines Tests“ vorlegen können, Ausnahmen von Verboten bei der Pandemiebekämpfung möglich sind. Die Regelung des Immunitätsnachweises greife zwar selbst nicht in Grundrechte ein, bilde aber die Grundlage für die Frage, ob die Grundrechte der Betroffenen beschränkt werden dürfen oder ob eine Ausnahmeregelung gelten kann. Dass die derzeit gültige Ausnahmeverordnung verfassungsrechtlichen Maßstäben genügt, bezweifelt der Wissenschaftliche Dienst ebenso wie die Praxis, sie nur auf der Internetseite zu veröffentlichen, denn eine Änderung des Inhalts sei sehr viel schneller möglich als ein Rechtsetzungsverfahren.

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