#Umringt von Kandidaten

Mit dem Zollstock ließ sich die Frage aller politischen Fragen am Donnerstag nicht beantworten: Welcher Kandidat ist der Kanzlerschaft am nächsten? Am Rednerpult im Bundestag stand um wenige Minuten nach neun Uhr die Bundeskanzlerin, um ihre vermutlich letzte Regierungserklärung abzugeben. Schon oft hatte Merkel solche Erklärungen kurz vor einem Treffen des Europäischen Rats abgegeben. Nicht so oft – um genau zu sein: noch nie – war sie dabei von drei potentiellen Nachfolgern umringt.

Zu ihrer Rechten, in der Regierungsbank, saß Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der Kanzlerkandidat der SPD. Zu ihrer Linken, in der sogenannten Länderbank, von der aus Ministerpräsidenten den Sitzungen des Bundestages folgen dürfen, hatte Armin Laschet Platz genommen, der nordrhein-westfälische Regierungschef, CDU-Bundesvorsitzende und Kanzlerkandidat der Union. Merkel gegenüber in den Reihen der Fraktion der Grünen saß deren Parteivorsitzende Annalena Baerbock, die sich ebenfalls als Nachfolgerin bewirbt.

Die Abstände der Drei zur scheidenden Amtsinhaberin waren einigermaßen ähnlich. Sicher war in dem Moment nur, dass zwei von ihnen in diesem Bermudadreieck untergehen werden, während die oder der glückliche Dritte in der kommenden Legislaturperiode den Stuhl in der Regierungsbank bekommt, der eine etwas höhere Lehne hat als die anderen. Merkel, die weiß, welche öffentliche und interne Wirkung kleinste Gesten von ihr haben, tat so, als wäre alles wie immer.

Auch Annalena Baerbock bekommt einen Faust-Gruß

Mit einer Ausnahme. Als sie um 8:56 Uhr, vier Minuten vor Sitzungsbeginn, in den Saal gekommen war, ging sie zu Laschet und begrüßte diesen mit einer angedeuteten Verneigung. Laschet, dessen jüngste Verabschiedung von CSU-Chef Markus Söder mit einem von diesem initiierten Ellenbogencheck reichlich schiefe Bilder erzeugt hatte, ging dieses Mal in die Offensive und streckte Merkel die Faust im Corona-Modus entgegen. Die Kanzlerin machte mit, aber allzu lange hatte ihr Parteifreund diese Geste nicht exklusiv. Als Baerbock hinzutrat, wurde ebenfalls gefäustelt.

Merkel referierte über annähernd 19 Minuten die Tagesordnungspunkte des bevorstehenden Gipfels und verband das mit einer Darstellung ihrer Regierungspolitik. Der Teil zur Corona-Pandemie erinnerte zunächst an das, was sie knapp 24 Stunden zuvor im Bundestag während der Regierungsbefragung gesagt hatte. Immerhin gab sie zu, dass nicht alles optimal gelaufen sei im „ersten Corona-Schock“. Da hätten nationale Anstrengungen das Handeln bestimmt, bevor es zur europäischen Abstimmung gekommen sei. „Wir wissen heute, dass wir das besser können und das auch in Zukunft besser machen werden.“

Als Beispiel nannte die Kanzlerin die Maßnahmen, die die Freizügigkeit in Europa beschränkt hatten, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Deren Koordinierung sei „viel zu zögerlich“ in Gang gekommen. Merkel bekräftigte, dass es sinnvoll gewesen sei, die Impfstoffe gegen Corona im europäischen Zusammenwirken zu beschaffen und wandte sich gegen die Freigabe der Impfstoffpatente. Anschließend kam sie auf die Migrationspolitik zu sprechen, auf das Verhältnis zur Türkei, Russland und den Aufstieg Chinas. In der Kürze der Zeit blieb nicht viel mehr übrig als leicht vertiefte Überschriften.

Die drei Bewerber um ihre Nachfolge nutzten ihre auf jeweils sieben Minuten angesetzten Reden, um ihre grundsätzliche Haltung zu Europa deutlich zu machen. Olaf Scholz bedankte sich zunächst bei Merkel für die gute Zusammenarbeit auf dem Feld der Europapolitik. Am Ende der dritten Koalition von Union und SPD unter Merkels Führung wäre das Gegenteil – Wahlkampf hin, Wahlkampf her – auch vor Scholz’ eigenen Füßen gelandet. Und da liegen schon genug Angriffe des sozialdemokratischen Koalitionspartners auf CDU und CSU.