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#Verfassung: Spanien tilgt abwertenden Begriff für Menschen mit Behinderung

Menschen mit Behinderung hießen in der spanischen Verfassung bisher „die, die weniger wert“ sind. Mehr als zwanzig Jahre währte der Kampf für eine Änderung. Jetzt hat sie eine große Koalition im Parlament beschlossen.

Es ist nur ein Wort, aber für Spanien eine kleine politische Revolution. Mehr als zwanzig Jahre hat der Kampf für die Verfassungsänderung gedauert. Statt von „Minusvalidos“ ist in Artikel 49 künftig von „Menschen mit Behinderung“ die Rede. Die Bezeichnung aus dem Jahr 1978 klang für viele diskriminierend und zu sehr nach Invaliden; wörtlich übersetzen lässt es sich mit: „die, die weniger wert sind“. Selbst die ehrwürdige Königliche Akademie (RAE) hatte das Wort schon 2020 getilgt und durch „discapacitado“ ersetzt. Doch nicht nur ausländischen Touristen fällt auf, dass an vielen Behindertenparkplätzen weiter der alte Begriff auf den Schildern steht.

Angesichts der politischen Gräben, die sich seit Jahren zwischen der Linken und Rechten immer weiter vertieft haben, erschien selbst die Änderung eines einzigen Wortes in der Verfassung ein Ding der Unmöglichkeit geworden zu sein. Denn die Hürden für einen Eingriff ins Grundgesetz sind hoch: In beiden Häusern des Parlaments ist eine Dreifünftel-Mehrheit vorgeschrieben.

Volkspartei und Rechtspopulisten lehnten Reform jahrelang ab

Für die Änderung ist daher die Zustimmung der beiden großen Parteien nötig, der regierenden Sozialisten (PSOE) und der oppositionellen konservativen Volkspartei (PP), die in der Geschichte der spanischen Demokratie noch nie eine große Koalition gebildet haben. Umso größer war die politische Sensation, als am Dienstag die PP und die Sozialisten von Ministerpräsident Pedro Sánchez im Parlament gemeinsam den Entwurf für das neue Wort einbrachten. Schon kurz nachdem Sánchez 2018 an die Regierung gekommen war, hatten seine drei linken Minderheitsregierungen versucht, die Korrektur auf den Weg zu bringen, die Behindertenverbände schon seit Jahrzehnten fordern.

Noch im Dezember wollte der PP-Vorsitzende Alberto Núñez Feijóo nur zustimmen, wenn Sánchez im Gegenzug verspricht, dass es in Katalonien kein neues Unabhängigkeitsreferendum geben werde. Zuvor hatten sich die PP und die rechtspopulistische Vox-Partei jahrelang dagegen gewehrt, auch „nur ein Komma“ der Verfassung zu ändern. Damit wollten sie den katalanischen Separatisten signalisieren, dass sie sich keine Hoffnung darauf machen können, dass ihnen eine neue Verfassung eines Tages ein Selbstbestimmungsrecht geben könnte.

Es ist erst die dritte kleine Änderung der Verfassung, für die sich PP und PSOE zusammengetan haben: 1992 wurde als Folge des Maastricht-Vertrags das Wahlrecht für EU-Bürger mit zwei zusätzlichen Worten erweitert. Während der großen Finanzkrise im Zuge der Austeritätspolitik kam es zu einer weiteren Änderung. Auch dieses Mal war es nur ein Minimalkompromiss. Dabei sind sich fast alle Parteien darüber einig, dass die vor mehr als vierzig Jahren verabschiedete Verfassung zumindest in Teilen überholt ist und reformiert werden sollte. Im Parlament wollen kleinere Parteien aus dem Baskenland und Valencia Anträge in dieser Woche weitere Anträge für Verfassungsänderungen einbringen.

Aber die spanischen Verfassungsväter haben unter dem Eindruck von Bürgerkrieg und Diktatur versucht, sicherzustellen, dass dafür ein breiter politischer Konsens unerlässlich ist – besonders, wenn es um den Kern geht, wie die konstitutionelle Monarchie und Veränderungen des Staatsgebiets durch die Einführung eines Volksentscheids. Dafür sind eine Zweidrittel-Mehrheit in beiden Häusern nötig, ein Referendum sowie Neuwahlen. Das neue Parlament muss die Änderung dann wieder mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit bestätigten. Die Zeitung „Periódico de España“ nannte die Einigung am Dienstag die leider „einzige Oase der Verständigung“ zwischen Sánchez und Feijóo, die noch viel größere Blockaden überwinden müssen.

Die PP verhindert seit Jahren die Erneuerung der Spitze des Justizapparats. Auch die Wahl der Kandidaten für den Justizrat und das Verfassungsgericht müssen beide Parlamentskammern, das Abgeordnetenhaus und der Senat, mit einer Dreifünftelmehrheit billigen.

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