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#Warum Italiens Gerichte nun schneller arbeiten müssen

Warum Italiens Gerichte nun schneller arbeiten müssen

Das Überleben der Koalition von Ministerpräsident Mario Draghi hing im Streit um die Justizreform am seidenen Faden: geschlagene neun Stunden lang, bis zum Donnerstagabend. Dann war der Kompromiss im Kabinett endlich gefunden und einstimmig angenommen. Dem Gesetzespaket müssen jetzt noch beide Kammern des Parlaments zustimmen.

Matthias Rüb

Politischer Korrespondent für Italien, den Vatikan, Albanien und Malta mit Sitz in Rom.

Draghi hatte sein ganzes politisches Gewicht in die Waagschale geworfen – und das seiner Justizministerin Marta Cartabia dazu. Ohne eine Einigung zu der Reform würden Regierung und Parlament nicht wie geplant Anfang August in die Sommerpause gehen, hatte Draghi versichert. Er werde nötigenfalls in Verbindung mit den fälligen Abstimmungen in Abgeordnetenhaus und Senat zu der Reform die Vertrauensfrage stellen.

Nach Abschluss der mehrfach für Konsultationen innerhalb der Koalitionsparteien unterbrochenen Kabinettssitzung sagte die sichtlich erleichterte Justizministerin: „Unser Ziel ist es, zügige Gerichtsverfahren zu gewährleisten, wobei bei einer angemessenen Dauer der Verfahren zugleich sichergestellt ist, dass sich kein Prozess in Rauch auflöst.“ Damit umschrieb sie die maßgeblichen Konfliktlinien beim Streit um die Reform: Die Mühlen der Justiz in Italien müssen endlich schneller mahlen, Verbrecher dürfen aber nicht von der verkürzten Zeit der Prozessdauer und der damit verbundenen reduzierten Verjährungsfrist profitieren. Der Kompromiss sieht nun vor, dass es wie von Cartabia geplant ein Limit für die Dauer von Verfahren gibt, dass dieses Limit aber keine Anwendung findet bei Prozessen gegen das organisierte Verbrechen, wegen terroristischer Gewalttaten sowie bei Vergewaltigung und anderen Formen sexualisierter Gewalt.

Strafprozesse dauern durchschnittlich fünf Jahre

Die EU-Kommission in Brüssel und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hatten die faktisch dysfunktionale Justiz Italiens seit Jahr und Tag kritisiert. Zuletzt knüpfte Brüssel die Auszahlung der Wiederaufbauhilfe zur Behebung der Pandemiefolgen an Rom in Höhe von rund 200 Milliarden Euro an die Forderung, die überfällige Justizreform müsse bis zur Überweisung der ersten Tranche im Herbst unter Dach und Fach sein. Der EGMR hat Italien seit 1959 in mehr als 1200 Fällen wegen der extrem langen Dauer von Gerichtsverfahren verurteilt – so oft wie keinen anderen Mitgliedsstaat der EU oder des Europarats. Auf dem zweiten Platz dieser unrühmlichen Rangliste liegt die Türkei mit 608 Verurteilungen. Nimmt man die EGMR-Urteile als Maßstab, dann werden rechtsstaatliche Prinzipien in der Türkei, die zwar dem Europarat, aber nicht der EU angehört, nur halb so übel verletzt wie vom EU-Gründungsmitglied Italien.

In Strafprozessen dauert es in Italien nach Angaben des Justizministeriums in Rom durchschnittlich fünf Jahre bis zu einem Urteil in dritter und letzter Instanz. Strafverfahren, die sich über mehrere Jahrzehnte hinziehen, sind keine Seltenheit – die Verjährungsfristen für die allermeisten Delikte sind dann längst abgelaufen. Noch schlimmer sieht es bei zivilrechtlichen Prozessen aus. Durchschnittlich dauert es mehr als sieben Jahre bis zu einem Urteil in letzter Instanz. Wer also in Italien Geduld, Geld und gute Anwälte hat, kam bisher oft um eine Strafe herum.

In einem ersten Reformentwurf hatte Cartabia eine Höchstdauer aller Prozesse für alle Straf- und Zivilverfahren festgelegt, bei deren Erreichen hätten die Verfahren eingestellt werden müssen. Dagegen war vor allem die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung Sturm gelaufen, die eine faktische Massenbegnadigung von korrupten Politikern und Bürokraten sowie von Mafiabossen kommen sah, sollten die Limits für alle Verfahren gelten. Die rechten Koalitionsparteien beharrten jedoch darauf, dass es bei einer Begrenzung der Dauer von Prozessen bleiben müsse.

Der Kompromiss sieht nun vor, dass Prozesse wie ursprünglich in Cartabias Reformplan vorgesehen in der zweiten Instanz höchstens drei Jahre dauern dürfen und in der dritten eineinhalb Jahre, andernfalls muss das Verfahren eingestellt werden. Die Richter können bei komplexen Verfahren aber eine Verlängerung der Prozessdauer beantragen. Zu einer Verlängerung kommt es außerdem, wie erwähnt, bei Mafia-Prozessen, bei Terrorismus und Angriffen auf die demokratische Ordnung sowie bei Verbrechen im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt. Grundsätzlich keine Fristen für die Prozessdauer – und auch keine Verjährung – gibt es bei Straftaten, die im Falle eines Schuldspruch lebenslange Haftstrafen vorsehen.

Das Reformpaket sieht weiter vor, dass möglichst viele Prozesse durch die Einigung der Streitparteien auf ein vermindertes Strafmaß und den Verzicht auf Rechtsmittel rascher abgeschlossen werden. Um den Stau von fünf Millionen anhängigen Verfahren abzubauen, sollen im Justizwesen tausende neue Stellen geschaffen werden. Die Reform soll nach der Zustimmung des Parlaments noch vor der Sommerpause in Kraft treten und zunächst bis Ende 2024 gelten.

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