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#Wie Litauen auf die verstärkte Bundeswehrpräsenz blickt

Litauen, bis zum Zweiten Weltkrieg Nachbarstaat Deutschlands an der Ostsee, kann sich in diesen Tagen gut beschützt fühlen. Um den NATO-Gipfel abzusichern, hat die Bundeswehr drei Staffeln des Patriot-Flugabwehrsystems nach Vilnius verlegt. Vorige Woche übten zur Vorbereitung außerdem litauische und polnische Spezialeinheiten, wie man ein besetztes Gebäude freikämpft. Litauen hat auch an seinen EU-Binnengrenzen Grenzkontrollen eingeführt.

Gerhard Gnauck

Politischer Korrespondent für Polen, die Ukraine, Estland, Lettland und Litauen mit Sitz in Warschau.

Die Staats- und Regierungschefs der Bündnispartner werden bis Donnerstag im Großfürstenschloss (unter russischer Herrschaft im 19. Jahrhundert verfallen, 2009 wiederaufgebaut) tagen. Da darf nichts schiefgehen.

Die Sorgen sind groß, Belarus könne als Begleitmusik Zwischenfälle inszenieren, sagt Laurynas Kasčiūnas, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Parlament in Vilnius, der F.A.Z. Wie in der von Belarus gesteuerten Migrationskrise 2020, als Tausende Menschen aus Asien und Afrika in die EU zu gelangen versuchten, seien auch jetzt wieder „Migrantengruppen unterwegs, die dann plötzlich von den Grenzern nach Litauen oder Polen geschubst werden könnten“. Hinzu kommt die Präsenz von russischen Wagner-Söldnern in Belarus. Am Wochenende begannen laut Polens Verteidigungsministerium 1000 polnische Soldaten und fast 200 Fahrzeuge die Verlegung in Grenznähe zu Belarus.

Das stärkste gefährdete Gebiet des Bündnisses

Zuletzt hat sich aus baltischer Sicht einiges im Bündnis bewegt. Ende Juni überraschte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius ganz Europa mit einer Ankündigung: Berlin wird dem monatelangen Drängen Litauens nachgeben und eine ganze Brigade der Bundeswehr, etwa 4000 Mann, dauerhaft und mit Familien im Land stationieren. Bisher sind Deutsche, Briten und Kanadier, die für die unwilligen Franzosen einsprangen, jeweils eine Nummer kleiner, in Bataillonsstärke und nur mit rotierenden Soldaten, im Baltikum präsent. Hinzu kommen kleinere Truppenteile weiterer Bündnispartner. Und es gibt noch mehr Bewegung.

Die Politologin Margarita Šešelgytė von der Universität Vilnius sieht Anzeichen dafür, dass zum Gipfel auch Kanada die Erhöhung auf Brigadestärke verkünden könnte. „Kanada, das die Verpflichtung der NATO-Länder auf einen Mindestumfang der Militäraus­gaben über lange Zeit verfehlt hat, will den Verbündeten zeigen, dass es jetzt mehr tun will.“ Diese Entwicklung könne auch den diskreten Druck auf Deutschland erhöht haben, jetzt ebenfalls auf Brigadestärke hochzuschalten.

Bis die beiden „Führungsnationen“ der Bündnispräsenz, Deutschland in Litauen und Kanada in Lettland, volle Brigadestärke erreicht haben, werden aber noch Jahre vergehen. Inzwischen hat Litauen auch einen direkten Nachbarn angesprochen, der das derzeit größte Aufrüstungsprogramm Europas in Angriff genommen hat: Polen. Litauens Präsident Gi­tanas Nausėda sagte Ende Juni, man habe einen „Dialog über einen Übungsplan“ mit Polen begonnen. „Das wird die Verteidigung des Suwałki-Korridors einschließen.“ Dieser Korridor gilt seit Russlands blitzartiger Besetzung der Krim als das am stärksten gefährdete Gebiet des Bündnisses.

Hier, zwischen Belarus und der russischen Exklave um Königsberg, könnten russische Truppen das Baltikum vom „Festland“ der NATO abriegeln und Nachschub verhindern. Dass Polen und Litauen sich aufeinander zubewegen, ist bemerkenswert: Im 20. Jahrhundert verbanden beide Völker nach einer langen Geschichte engster Verflechtung Grenzstreitigkeiten und Minderheitenkon­flikte.

Die Balten haben aufgerüstet

„Heute erleben wir ein goldenes Jahrzehnt für diese Beziehungen“, sagt Kasčiūnas. Bis 2015 hätten die polnischen liberalen Kräfte die Anliegen der polnischen Minderheit in Litauen geradezu als Faustpfand gesehen. Heute jedoch seien in Polen „die Konservativen an der Macht, sie haben diese Fragen niedriger gehängt“. Zusammen mit seiner Partei, der regierenden Vaterlandsunion, Schwesterpartei der CDU/CSU in der EVP, kümmere sich Warschau um das Zusammenwachsen der Region in Sicherheits-, Energie- und Verkehrsfragen.

Hinzu kommt, dass Polen seit der Krim-Annexion und erst recht seit 2022 massiv aufrüstet. Heute laufen Bestellungen über etwa 1000 Kampfpanzer, dazu Haubitzen, F-35-Kampfflugzeuge, Apache-Kampfhubschrauber, HIMARS-Raketenwerfer. Ein Teil der Lieferungen hat be­reits begonnen. Damit würde Polen zur stärksten Landarmee im europäischen Teil der NATO werden.

Die leidvollen Erfahrungen mit russischer und später sowjetischer Besatzung treiben die baltischen Staaten an, sich von Moskau abzukoppeln. Lange Zeit galten sie als das „Energieloch“ Europas, unverbunden mit dem Rest der EU und damit gefährdet. 2015 haben Litauen und Polen jedoch je ein LNG-Terminal an der Ostsee eröffnet. Überregionale Gas- und Stromleitungen, letztere auch durch die Ostsee nach Schweden, sind heute in Betrieb. Die letzte Verbindung zu Russland und Belarus ist jedoch bis heute, dass die Balten mit dem Stromnetz der zwei öst­lichen Nachbarn synchronisiert sind. Das soll nach Litauens Wunsch nächstes Jahr enden.

Die Balten verfügen nicht über Kampfflugzeuge und Kampfpanzer; den Luftraum überwachen seit Jahren die stärkeren Verbündeten („air policing“). Aber die Balten haben aufgerüstet, Litauen etwa mit dem deutschen Radpanzer „Boxer“, alle Länder mit Panzerabwehrwaffen. „Die deutschen Patriot-Raketen würden wir gern gleich bei uns behalten“, scherzt Vize-Außenminister Jonas Survila. „Aber im Ernst: Wir heißen die angekündigte deutsche Brigade willkommen und würden auf dem Gipfel gern eine gemeinsame rotierende Luft- und Raketenabwehr beschließen, damit das air policing zu einer glaubwürdigen Luftverteidi­gung wird. Das wäre rational.“

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