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#Das Wahlrecht ist in Gefahr

Das Wahlrecht ist in Gefahr

Allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim – so lauten seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahr 1949 die zentralen Kriterien, die bei der Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestags erfüllt sein müssen. Das Bundeswahlgesetz fügt den Bestimmungen aus Artikel 38 GG nicht eines hinzu – außer dass es in Paragraph 1 festhält, dass der Deutsche Bundestag aus 598 Abgeordneten besteht – „vorbehaltlich der sich aus diesem Gesetz ergebenden Abweichungen“.

Zudem legt das Gesetz seit dem Bestehen der Bundesrepublik fest, nach welchen Prinzipien die Zusammensetzung der Legislative ermitteln werden soll.

Eine „mit einer Personenwahl verbundene Verhältniswahl“ soll sicherstellen, dass einerseits jeder einzelne Wahlkreis mit einem direkt gewählten Abgeordneten im Bundestag repräsentiert ist. Die Verhältniswahl wiederum soll im Ergebnis bewirken, dass sich die Stärke der Parteien und damit die Mehrheitsverhältnisse im Ergebnis nicht nach dem Abschneiden in den Wahlkreisen bemessen, sondern nach dem Zuspruch, den die einzelnen Parteien bundesweit in Gestalt der sogenannten Zweitstimme erhalten.

Im Vergleich eine Insel der Seligen

An all dies wenige Tage vor der Wahl des 20. Deutschen Bundestags zu erinnern mag manchen vorkommen, als würden die sprichwörtlichen Eulen nach Athen getragen. Doch haben viele Ereignisse und Entwicklungen in den vergangenen vier Jahren gezeigt, dass es fahrlässig wäre, demokratische Errungenschaften wie die Wahlgrundsätze, aber auch ein Wahlrecht, das den Prinzipien von Klarheit und Wahrheit genügt, als ein für allemal gegeben zu halten. Sowohl die zunehmende Unwucht im Verhältnis von Brief- und Urnenwahl wie auch die jüngste, von CDU, CSU und SPD gegen die Stimmen der Opposition durchgepeitschte Reform des Bundestagswahlrechts haben das Zeug, das Vertrauen in den Wahlakt wie in dessen Ergebnisse zumindest nicht zu befördern.

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Gleichwohl muss an dieser Stelle eine Einschränkung gemacht werden: Gemessen an den zum Teil erfolgreichen Bestrebungen selbst in demokratisch verfassten Gemeinwesen wie den Vereinigten Staaten, Polen oder auch Ungarn, dass Parteien unter Ausnutzung von Mehrheitsverhältnissen verfassungsmäßig verbriefte Bürgerrechte einschränken oder sich die Judikative gefügig machen, leben wir in der Bundesrepublik Deutschland fast auf einer Insel der Seligen.

Richtige Ziele, falsche Wege

Auf der aber geht es recht lebhaft zu, etwa im Streit über die Senkung des Wahlalters bei Bundestagswahlen von 18 auf 16 Jahre. Ob die Parteien zum Zug kommen, die dies in ihre Programme schreiben, haben die Bürger in der Hand. Und nicht alles, was Parlamente für richtig halten, kann auch Recht und Gesetz werden kann. So haben die Landesverfassungsgerichte von Thüringen und Brandenburg einhellig die „linken“ Projekte verworfen, mithilfe von Paritätsgesetzen den Frauen zu mehr Repräsentation in den Parlamenten zu verhelfen. So richtig das Ziel ist, so falsch ist der Weg, wenn in Namen einer höheren Moral gleich mehrere Wahlgrundsätze über den Haufen geworden werden.

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Gleichwohl ist es bedenklich, wenn Gerichte Streit über Wahlgrundsätze schlichten müssen, der im Parlament nicht fraktionsübergreifend beigelegt werden konnte. So aber ist es im Fall des Bundestagswahlrechts, dessen Verfassungsmäßigkeit im Anhörungsverfahren von nahezu allen Sachverständigen bezweifelt wurde – ohne dass Union und SPD daraus Konsequenzen zogen. Zu einer einstweiligen Verfügung konnte sich das Bundesverfassungsgericht kurz vor der Wahl nicht mehr durchringen. Aber nach der Wahl ist vor der Wahl.

Wahlgang über sechs Wochen

Das gilt auch für das Thema Briefwahl. Sosehr diese Form der Stimmabgabe dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl dient, so wenig kann mittlerweile noch vom Vorrang der Urnen- vor der Briefwahl gesprochen werden. Dass in die Erhebungen der Meinungsforschungsinstitute immer mehr Wahlentscheidungen eingehen und diese das Stimmungsbild verzerren, ist zunächst nur misslich. Aber mit der Geheimhaltung ist es nicht so weit her, während die Manipulationsanfälligkeit bei der Auszählung zunimmt. Das lässt die schon vor der Pandemie ungebremste Zunahme dieser Form der Stimmabgabe als verfassungsrechtlich fragwürdig erscheinen. Vor allem aber geht bei einem Wahlgang, der sich de facto über sechs Wochen erstreckt, die Allgemeinheit zunehmend auf Kosten der Informationsgleichheit, von der Symbolik eines kollektiven Wahlaktes gar nicht zu reden.

Dieser aber besteht nicht zuletzt darin, öffentlich von einem Grundrecht Gebrauch zu machen, das in den vergangenen Jahren in anderen Ländern immer mehr Bürgern vorenthalten wurde. Berichte wie die über die Parlamentswahl in Russland, die Bilder aus dem Amerika Trumps und auch die jüngsten Nachrichten aus Polen sollten ein Spiegel sein, in dem die Wahlen hierzulande nicht als abgelebte Routine erscheinen, sondern als eine kostbare Errungenschaft, die aller Mühen wert ist, verbessert zu werden. Eine Wahlpflicht im juristischen Sinn kennt dieses Gemeinwesen nicht. Aber wohl eine moralische.

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