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#Debatte im Bundestag: Wer der Feind ist

Debatte im Bundestag: Wer der Feind ist

Man kann der Ansicht sein, das politische System Deutschlands – und auch vieler anderer Staaten – reagiere im Kampf gegen das Coronavirus gelegentlich so über, wie das mitunter auch beim körpereigenen Abwehrsystem der Fall ist. Müssen jetzt wirklich Theater, Gasthäuser und Sportplätze geschlossen werden, um die zweite Welle zu brechen, selbst wenn die sich in atemraubender Geschwindigkeit auftürmt? An dieser Notwendigkeit zweifeln nicht nur die betroffenen Wirte, sondern auch nichtbetroffene Wissenschaftler. Eine Anfälligkeit für das Überreagieren kann man freilich gerade auch bei jenen erkennen, die sie geißeln. Etwa beim Oppositionsführer von der AfD, Alexander Gauland, der im Bundestag von einer „Corona-Diktatur“ und von „Kriegspropaganda“ sprach. Oder beim FDP-Vorsitzenden Lindner, dem zufolge eine Deformation der parlamentarischen Demokratie droht.

Wahr ist: Maßnahmen, die Eingriffe in Grundrechte darstellen, brauchen eine gesetzliche Grundlage. Gesetze können nur vom Gesetzgeber beschlossen werden. Die parlamentarische Debatte über Für und Wider schafft Transparenz und vergrößert im Idealfall auch das Verständnis beim Souverän – wenn nicht auch bei dieser Auseinandersetzung „Kriegspropaganda“ verbreitet wird, ob von der Regierung oder der Opposition.

Zweifellos zur Propaganda zählen darf man die Behauptung, ein „Notstandskabinett“ aus den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin habe mehr oder minder die Parlamente entmachtet und die Gewaltenteilung aufgehoben. Die Klage, der Bundestag sei von der Pandemiepolitik ausgeschlossen worden, ist nicht nur larmoyant, sondern unzutreffend. Wie die Fraktionsvorsitzenden von Union und SPD darlegten, hat der Bundestag vielfach mitentschieden. Seinen Mitgliedern stehen reichlich Möglichkeiten zur Verfügung, selbst initiativ zu werden. Eine Mehrheit der Abgeordneten könnte jederzeit die gesetzlichen Grundlagen für das Handeln der Exekutive ändern. Sie könnte die Ermächtigung im Infektionsschutzgesetz beschränken oder, wie geplant, weiter konkretisieren. Sie kann Zustimmungsvorbehalte ausweiten und die Begründungspflicht für Rechtsverordnungen vergrößern. Das „Notstandskabinett“ könnte nichts davon verhindern. Aber die parlamentarische Minderheit kann nichts davon erzwingen. So ist das in einer Demokratie.

Selbst eine große Mehrheit im Bundestag hat aber nicht die Kompetenz, alles zu regeln, was im Kampf gegen die Pandemie zu regeln ist. Dafür sind auf vielen Feldern die Länder zuständig. Auch der Föderalismus teilt die Gewalten. Folgt man der These von der Corona-Diktatur unter Führung eines siebzehnköpfigen Direktoriums, dann müssten auch sechzehn Landtage entmachtet und „gleichgeschaltet“ worden sein. Ist dieses Schicksal auch der Öffentlichkeit widerfahren, die ausweislich der Umfragen jedenfalls bisher dem Kurs des „Notstandskabinetts“ mit großer Mehrheit folgte?

Eine Aus- oder Gleichschaltung der Legislative gab es auch in den Landeshauptstädten nicht. Thüringens Protokollerklärung zu den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz hebt ausdrücklich hervor, dass diese Entscheidungen „kein Präjudiz (für) das parlamentarische Verfahren im Freistaat Thüringen“ sein können.

Wäre es aber nicht besser gewesen, wenn alle Landesparlamente und der Bundestag vor den Regierungschefs darüber beraten hätten, was angesichts der explodierenden Infektionszahlen zu tun sei? Die Opposition, deren Aufgabe es ist, die Regierung zu kritisieren und alternative Politikvorschläge zu machen, kann sogar in so einem Fall leicht die reine Lehre des Parlamentarismus vertreten. Sie würde freilich die Verantwortung weit von sich weisen, wenn Intensivstationen und Leichenhallen überfüllt wären, weil die Regierung nicht rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen habe. Ist bis vor wenigen Tagen nicht noch die Uneinigkeit der Ministerpräsidenten gegeißelt worden?

Wie hätten die Regierungen alles richtig machen können?

Überall wird darüber gestritten, ob die neuen Maßnahmen wie von Merkel und den (schwarzen, roten, grünen und linken) Ministerpräsidenten behauptet, geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sind. Nur dann werden sie die gerichtliche Prüfung überstehen, zu der die FDP aufrief. Dass auch die dritte Gewalt im Staat noch nicht ein Opfer der „Corona-Diktatur“ wurde, zeigten die Urteile zum Beherbergungsverbot.

Im Rückblick steht außer Frage, dass auch die Regierungen in Bund und Ländern im Ringen mit der Pandemie nicht alles richtig machten. Wie wäre das möglich gewesen? Sie bewegten sich auf Neuland, das mit tödlichen Gefahren aufwartete. Aber entscheiden mussten sie, wie jetzt wieder, auch wenn sie immer nur die Wahl zwischen Übeln hatten. So gut wie alle unsere Nachbarn in Europa haben sich ähnlich entschieden; so gut wie überall gilt Deutschland als Beispiel dafür, wie man noch am besten durch eine schlimme Zeit kommt. Das wird der deutschen Politik weiter nur gelingen, wenn bei aller berechtigten Kritik und allem nötigen Streit über den richtigen Kurs nicht vergessen wird, dass der größte Feind das Virus ist, nicht der politische Gegner.

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