#Grüne Blamage im Saarland
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„Grüne Blamage im Saarland“
Gerade schien es, als kämen die Grünen nach der Pannenserie ihrer Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock inhaltlich mit ihrem Kernthema Klimaschutz und auch dank Fehler des CDU-Konkurrenten Armin Laschet wieder in die Wahlkampfoffensive. Doch dann kam die Nachricht von der Blamage im Saarland: Im kleinsten Flächenland dürfen die Grünen nach dem unanfechtbaren Urteil des Bundeswahlausschusses wegen schwerwiegender Fehler bei der Aufstellung der Kandidaten nicht mit einer Landesliste antreten.
Somit wird die Partei bei der Bundestagswahl am 26. September im Saarland keine Zweitstimmen erhalten. Dass die dort bei Wahlen traditionell schwach abschneidende Partei ein Direktmandat erringen kann, ist fast ausgeschlossen.
Bei der Wahl 2017 reichte es für die Grünen mit sechs Prozent und 35.117 Zweitstimmen knapp für ein Mandat. Dreimal seit 2009 war Markus Tressel für die Grünen gewählt worden, auf eine Kandidatur 2021 hatte der 44 Jahre alte Politiker aus Saarlouis verzichtet. Angesichts der guten aktuellen Umfragewerte hätten die Grünen diesmal auf eine Verdoppelung ihres Stimmenanteils oder mehr hoffen dürfen.
Wer ist Koch, wer Kellner?
Fällt das Rennen der Parteien um die Plätze eins und zwei im Bund ähnlich knapp aus wie 2002, könnten ein oder zwei fehlende Mandate Baerbock und den Grünen die mögliche – wenn auch derzeit nicht wahrscheinliche – Kanzlerschaft kosten. Denn für den Fall, dass es nach dem 26. September zu einer Ampelkoalition mit SPD und FDP reichen würde, stellt sich für die Grünen die von Gerhard Schröder vor der Wahl 1998 süffisant an Joschka Fischer gestellte und sogleich beantwortete Frage, wer Koch oder Kellner(in) in einer Koalition sein werde.
Diesmal fiele im Blick auf die Parteienstärke die Antwort schwerer: Olaf Scholz oder Annalena Baerbock? 2002 wurde die SPD mit Kanzler Schröder durch einen Vorsprung von 6000 Stimmen stärkste Partei vor der Union mit Edmund Stoiber als Herausforderer.
Dass es für die Grünen an der Saar zu einem Fiasko mit Ansage kommen konnte, hat viele lokale Ursachen und verantwortliche Akteure; aber auch das Verhalten und die Interventionen der Grünen-Spitze in Berlin in den Landesverband hinein haben viel zu diesem Debakel beigetragen. Schon seit Jahren ist die Landespartei in Machtkämpfe und Intrigen um den im Hintergrund agierenden früheren Landesvorsitzenden Hubert Ulrich verstrickt.
Der 63 Jahre alte Ulrich, den sein Parteifreund Daniel Cohn-Bendit vor Jahren als einen im Stil eines „Mafioso“ agierenden Politiker beschrieb, war zwar nach dem parlamentarischen Aus für die Grünen bei der Landtagswahl 2017 zurückgetreten. Aber der wie sein politischer Ziehsohn Tressel aus Saarlouis stammende Ulrich zog auch nach seinem scheinbaren Rückzug mit seinen Getreuen die Fäden und beeinflusste Personalentscheidungen in seinem Sinn. So geschah es auch auf dem Landesparteitag am 20. Juni, der die Listenplätze für die Bundestagswahl vergab.
Parteitag setzt sich über Satzung hinweg
Nach dem in der Parteisatzung eigentlich festgelegten Statut hätte der für den Einzug in den Bundestag sichere Platz Eins an eine Frau gehen müssen, da ungerade Listenplätze weiblich zu besetzen sind. Eine Regel, die der Landesverband schon bei der Nominierung Tressels ignoriert hatte. Doch diesmal, so glaubte auch die Berliner Parteizentrale sicher, würde eine Frau Listenplatz Eins erhalten. Doch die dafür kandidierende Landesvorsitzende Tina Schöpfer fiel in drei Wahlgängen durch und trat nach dieser Demütigung zurück.
Auch auf Betreiben der Delegierten aus Saarlouis – parteiintern als „Huberts Armee“ berüchtigt – wurde anschließend das Frauenstatut außer Kraft gesetzt und damit auch die Kandidatur eines Mannes für Platz Eins erlaubt. Und der war, wie es der Zufall will, auch zur Überraschung der Grünen-Spitze der vermeintliche Politrentner Ulrich. In einer Kampfabstimmung besiegte der in der Partei auch „Panzer“ genannte Ulrich klar die 25 Jahre alte Jeanne Dillschneider. Doch mit diesem Coup fingen die Probleme erst an, die dann am 5. August zum Desaster führten. Baerbock kritisierte Ulrichs Nominierung deutlich und kündigte „intensive“ Gespräche mit den Saar-Grünen an.
Der Baerbock-Vertraute und politische Bundesgeschäftsführer Michael Kellner „ermunterte“ auch aus Sorge vor einer rechtsunsicheren Listenaufstellung Parteifreunde intern zum Gang vor die Schiedsgerichte, um Ulrichs Wahl rückgängig zu machen. Da sich das Landesschiedsgericht für befangen erklärte, sollte das benachbarte Parteigericht in Rheinland-Pfalz entscheiden.
Zuvor aber beschloss der nicht von Ulrich dominierte Landesvorstand, dass die Landesliste am 17. Juli neu aufgestellt werden sollte. Wenige Tage später urteilte das Schiedsgericht Rheinland-Pfalz, dass die Ulrich-Liste wegen Satzungsverstoßes und der Beteiligung von vier nicht stimmberechtigten Parteimitgliedern nicht im Landeswahlausschuss eingereicht werden dürfe. Doch der zweite Listen-Parteitag konnte fast nicht stattfinden. Zuvor waren auf Entscheidung des Bundesschiedsgerichts 49 Delegierte aus Ulrichs Ortsverband Saarlouis ausgeschlossen, weil bei deren Nominierung gegen das Öffentlichkeitsgebot verstoßen worden sei. Auf dem Parteitag ohne Ulrich und seine mächtige Truppe wurde dann doch Jeanne Dillschneider auf Listenplatz Eins gewählt.
Doch der Landeswahlausschuss ließ diese zweite, von Kellner gewünschte Landesliste nicht zu, weil den Delegierten aus Saarlouis das Stimmrecht entzogen worden sei. Das verstoße gegen das Demokratieprinzip des Grundgesetzes und sei höher zu bewerten als die Parteisatzung. Eine Auffassung, der sich der Bundeswahlausschuss anschloss, den die Bundesgrünen angerufen hatten – und der mit seinem Nein zur Landesliste vielleicht den entscheidenden Faktor bei der Bundestagswahl geschaffen hat.
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