Nachrichten

#Ist die Zeit der Volksparteien nun wirklich vorbei?

Ist die Zeit der Volksparteien nun wirklich vorbei?

Auch nach dieser Bundestagswahl wird es wieder heißen, die Ära der Volksparteien sei vorbei. Die Gründe dafür sind klar: Keine der „großen“ Parteien erreicht auch nur ansatzweise noch eine absolute Mehrheit, selbst mehr als 40 Prozent gelten schon als außergewöhnlich.

Das war in der alten Bundesrepublik noch anders: CDU/CSU und SPD teilten sich weitgehend die Wählerschaft, auch wenn es für die absolute Mehrheit damals ebenso wenig reichte wie heute. Nur die CSU entsprach dem Ideal der Volkspartei. Die FDP verharrte als Klientelpartei gewissermaßen in der parteihistorischen Vergangenheit; die Grünen, die in den achtziger Jahren hinzukamen, waren eine Mischung aus Bewegung und Programmpartei, darin der SPD nicht ganz unähnlich und ebenfalls ein „Rückschritt“ aus der Perspektive der Volksparteien.

Parteien, die ihr Programm höher stellen als die Breitenwirkung, wollten die meisten Politiker des Parlamentarischen Rats eigentlich nicht mehr haben. Ihnen schwebte, gezeichnet vom Dauerzank und vom Untergang der Weimarer Republik, eine Partei neuen Typs vor, den CDU und CSU, später auch die SPD, am besten verwirklichten. Sie sollten nicht mehr in einer Ideologie, einem Milieu, einer Konfession gefangen sein, sondern sich öffnen und im Kleinen abbilden, was die Gesellschaft im Großen war.

Stabilität – Akzeptanz – Kompromissfähigkeit

Der auf die Parteien gemünzte Satz im Grundgesetz („Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“) lässt zwar offen, welcher Typ gefragt ist. Aber die Mitwirkung an politischer Willenbildung ist umso wirkungsvoller, wenn es dafür nur weniger Parteien bedarf, die in sich austragen und vorwegnehmen, was dann im Parlament verhandelt und beschlossen wird. Das sichert Stabilität, Akzeptanz und Kompromissfähigkeit, drei Kernbedürfnisse in der Nachkriegszeit.

Die erste Volkspartei: Erster Bundesparteitag der CDU 1950 in Goslar


Die erste Volkspartei: Erster Bundesparteitag der CDU 1950 in Goslar
:


Bild: dpa

Vorbild vieler Verfassungspolitiker waren damals die USA und Großbritannien mit ihren zwei stabilen Parteiblöcken. Heute sieht man allerdings in Amerika, dass auch zwei Blöcke nicht den Sturm aufs Parlament verhindern.

Doch erfüllt sich der Anspruch einer Partei, eine Volkspartei („catch-all-party“) zu sein, überhaupt vornehmlich darin, dass sie groß und stark ist? Diesem Irrtum erlag die FDP, als sie sich in einer Phase zweistelliger Wahlergebnisse auf Bundesebene ausmalte, in die Liga von CDU und SPD vorrücken zu können.

Größe ist nicht alles

Sie scheiterte daran, dass ihr ein Element fehlte: Sie zog zwar mehr Wähler an als früher, war dadurch aber nicht zum Spiegel der Gesellschaft, des ganzen Volkes geworden. Sie war immer noch Klientel- und Programmpartei mit begrenzter Mitgliederzahl geblieben. Die Interessen, die sie vertritt, fanden nur größeren Zuspruch als sonst. Die Grünen drohen diesen Irrtum zu wiederholen: Die Masse allein entscheidet nicht über den Status als Volkspartei.

Über die Gemeinschaft von Interessen hinaus Bindungen herzustellen, die aus einer Partei eine Gesellschaft im Kleinen machen, wird umso schwieriger, je mehr Milieus, je mehr Lebensstile, je mehr Interessengegensätze und je mehr unerbittlich gepflegte Identitäten diese Gesellschaft beherrschen. Gemeinhin wird die Auflösung traditioneller Milieus als Grund für schwächere Bindungen angeführt. Volksparteien müsste es die Arbeit aber eigentlich erleichtern, weil sich die vielen neuen Milieus nicht mehr durch die tiefen Gräben der alten abgrenzen. Das führt zu mehr Gleichheit und mehr Bewegung, muss aber nicht unbedingt zur Schwächung von Volksparteien führen.

F.A.Z. Machtfrage – Der Newsletter zur Bundestagswahl

jeden Dienstag

ANMELDEN

Für sie ist der Mitgliederschwund weit gefährlicher, ebenfalls das Produkt einer auf Individualismus und Konfessionslosigkeit ausgelegten Lebensführung. Weniger Mitglieder heißt weniger Repräsentation, weniger Engagement, weniger Präsenz, das wiederum bedeutet weniger organisatorisches Wurzelwerk in einer Gesellschaft, die gleichzeitig aber auf mehr Partizipation und „Basisbeteiligung“ Wert legt.

Aversion gegen „Parteiengezänk“ dämpfen

In einem wichtigen Punkt ähnelt diese Situation dem Aufbruch in der Nachkriegszeit. Die Volksparteien sollten damals auch eine Antwort auf die Parteien- und Politikverdrossenheit sein, auf das Misstrauen gegenüber dem Parlamentarismus und auf den Ansehensverlust des Staates nach Jahren der Diktatur. Sie sollten Aversionen gegen das „Parteiengezänk“ dämpfen, dem die Schuld an der Nazi-Diktatur gegeben wurde, dem aber gleichzeitig, wie schon zu Weimarer Tagen, die Sehnsucht nach einer geräuschlosen, harmonischen, „echten“ Demokratie entgegengesetzt wurde.

Diese Sehnsucht begleitet auch die Parteienlandschaft der Gegenwart, die dadurch aber gerade nicht harmonischer, sondern durchpflügter wirkt. Denn den Anspruch, Volkspartei zu sein, das zeigt der Aufstieg der AfD, können auch Parteien pflegen, die unter „Volk“ nicht ein Chaos der Interessen, sondern ein monolithisches Wesen verstehen, dessen „Wille“ nur diese eine Volkspartei wahrhaft kenne.

Der Abgesang auf die Volksparteien ist dennoch verfrüht. Für die Idee der Volkspartei spricht nach wie vor, dass selbstgewählte programmatische Engstirnigkeit und die Konzentration auf Interessengruppen die Willensbildung im Parlament erschweren und dessen Ansehen unterminieren. Koalitionen, die angesichts der Schwäche der „großen“ Parteien geschlossen werden müssen, belasten wiederum die Glaubwürdigkeit dieser Parteien.

Aus diesem Teufelskreis ausbrechen zu können behauptet ein neuer Typ von Politiker, der sich als Doppelkopf von Partei und Bewegung versteht, die er zur Mehrheitsfähigkeit führt. Diesen Typus zu verhindern, war in Deutschland aber ein wesentlicher Antrieb zur „Erfindung“ der Volkspartei.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!