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#Kommentar zur Ampel: Kanzler an der kurzen Leine

Der Streit über die Taurus-Marschflugkörper für die Ukraine ist nur der jüngste Beleg: Olaf Scholz sind die Hände in der Koalition eng gebunden. Seine Autorität wird untergraben.

Es gibt ein einfaches Mittel, die Mechanismen der Ampelkoalition besser zu verstehen. Man muss nur auf der Plattform X den Account der SPD-Bundestagsfraktion aufrufen. Schon nach kurzer Lektüre taucht eine Äußerung des Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich auf: „Die notwendige Hilfe für die Ukraine darf nicht gegen das Soziale ausgespielt werden.“ Damit die Botschaft sofort ins Auge springt, ist der Satz vom Wort Ukraine an gefettet.

Wenn Mützenich und der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sich in diesen Tagen hinter das Nein des Kanzlers zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine stellen, dann ist das Unterstützung und Warnung zugleich. Mützenich gehört zum großen Flügel der Parlamentarischen Linken in der Fraktion, Klingbeil zum anderen großen Lager, dem Seeheimer Kreis. Dazwischen steht Scholz und kann genau sehen, wo die rote Linie verläuft.

Die Interessen der Partei

Jeder Kanzler muss auf die Interessen der ihn tragenden Partei Rücksicht nehmen. Aber Olaf Scholz läuft an einer außerordentlich kurzen Leine. Nur zur Erinnerung: Die Genossen wollten den Mann, der als Generalsekretär des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder die Hartz-Reformen durchgesetzt hat, nicht einmal zum Vorsitzenden wählen und entschieden sich lieber für eine unbekannte Bundestagsabgeordnete und einen ehemaligen Landesminister. Bis heute gibt es nicht den Anflug einer Überlegung, ob der Kanzler nicht auch die Partei führen sollte.

Wenn Scholz sein Nein zum Taurus mit der Sorge begründet, Deutschland zu tief in diesen Krieg zu ziehen, klingt das glaubwürdig. Es ist keine Kleinigkeit, der Hauptverantwortliche zu sein für die Frage, ob das eigene Land in eine militärische Auseinandersetzung mit einer großen, aggressiven Atommacht gerät.

Sollte Scholz jedoch irgendwann zu der Auffassung kommen, der Sicherheit und damit letztlich auch dem Frieden Deutschlands und Europas wäre es dienlicher, Kiew die Marschflugkörper zu überlassen, müsste sein Helmut-Schmidt-Moment kommen. Sein Parteifreund und Vorgänger im Kanzleramt hatte in einer nicht unähnlichen weltpolitischen Konstellation Anfang der 1980er-Jahre mit dem Eintreten für den NATO-Doppelbeschluss Moskau die Stirn geboten. Dem Frieden auf dem Kontinent hat es gedient, Schmidt hat es das Amt gekostet.

Zufall der Zeitgeschichte

Allerdings war er zu diesem Zeitpunkt bereits wiedergewählter Bundeskanzler. Klingt nach kleinem ­Karo. Aber die Sehnsucht eines demokratischen Regierungschefs, wiedergewählt zu werden, um nicht als Zufall der Zeitgeschichte zu enden (im Fall von Scholz als Nutznießer der Zerstörungswut von CSU-Chef Markus Söder im Unions-Wahlkampf), sollte nicht unterschätzt werden. Scholz hat schon zu Beginn der Ampelzeit Parolen ausgegeben, die ahnen lassen, wie sehr er sein Handeln diesem Wunsch unterordnet. Er hat das sozialdemokratische Jahrzehnt ausgerufen und sich festgelegt, die nächste Legislaturperiode nicht nur weiterhin Kanzler zu sein, sondern mit Grünen und FDP regieren zu wollen.

Man weiß natürlich nie: Aber nach mehr als zwei Ampeljahren erscheint die Vorstellung von deren Wiedergeburt nach der nächsten Wahl als Phantasterei. Die Risse verlaufen zu sehr kreuz und quer durch die anfangs als Fortschrittsbündnis schöngeredete Koalition. Die sozialpolitischen Vorstellungen von SPD und Grünen stoßen zu heftig auf die wirtschaftsliberalen Ziele der FDP. Um nur ein Beispiel zu nennen: Hinter der Debatte darüber, wie üppig das Bürgergeld ausfallen soll, steht die Frage, ob der Staat mehr für den Bürger oder der Bürger mehr für sich selbst (und damit den Staat) tun soll. Solche grundsätzlichen Konflikte lassen sich nicht mit einem einfachen gesetzgeberischen Kompromiss beseitigen.

Als die Ampel entstand, weil es eine realistische andere Konstellation nicht gab, durfte man zumindest gespannt sein, ob das Bündnis wie eine ganz große Koalition funktionieren würde, die vom linken Rand des sozialdemokratischen und grünen Milieus über den gemäßigten rot-grün-gelben Bauch in der politischen Mitte bis zum rechten Rand der FDP-Klientel die Bedürfnisse jedenfalls eines Gutteils der Wählerschaft abdecken würde. Doch schon vor dem Bergfest war klar, dass die Uneinigkeit zu stark ist, als dass die Fliehkräfte beherrschbar wären.

Das liegt auch daran, dass Scholz nicht die Autorität besitzt, die seine roten, grünen und gelben Truppen dazu bringt, ihre Meinungsverschiedenheiten im Stillen auszutragen. Als der Kanzler jetzt den monatelangen Streit über den Taurus auch in den eigenen Reihen mit einem Machtwort zu beenden versuchte, stellte Nils Schmid, einer der bekannten Außenpolitiker der SPD, Mutmaßungen an, wie lange dieses Nein wohl halten werde. So untergräbt man die Autorität eines Kanzlers.

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